Eine gute Woche reicht nicht

KRITIK Es waren erfolgreiche Tage für Barack Obama. Doch die meisten Errungenschaften können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die imperiale US-Politik in anderen Bereichen ungebrochen ist

■ Aktion: Nach zahlreichen Appellen, die Fahne der im Bürgerkrieg (1861–65) unterlegenen Konföderierten Staaten vom Gelände des Statehouse in der Hauptstadt von South Carolina zu entfernen, erledigte das die 30-jährige Aktivistin und Filmemacherin Bree Newsome am Samstag selbst.

■ Vorbilder: Sie steht damit in der Tradition von Denmark Vesey (1822 wegen Planung eines Skavenaufstandes hingerichtet), Robert Smalls (navigierte 1862 ein konföderiertes Kriegsschiff zu den Unionisten) und Rosa Parks (weigerte sich 1955 in Alabama, im Bus für einen Weißen aufzustehen).

■ Reaktion: Bree Newsome wurde am Fuß des Fahnenmastes festgenommen. (dora)

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Für Barack Obama war es die Woche der geballten Erfolge. Binnen nur vier Tagen bekam er freie Hand vom Kongress für Freihandelsverhandlungen; bekam er eine neuerliche oberstgerichtliche Absegnung seiner Gesundheitsreform; die – ebenfalls oberstgerichtliche – Ausweitung der Ehe für alle in sämtlichen Bundesstaaten; bekam er den Anfang eines landesweiten Sturms auf Fahnen und andere Symbole des Sklavenhalterregimes der Konföderierten. Zum krönenden Abschluss stimmte er am Freitag in Charleston ein „Amazing Grace“ an, in das umgehend mehr als 5.000 Trauernde und ein Kirchenorganist in der Arena sowie wenig später Millionen in aller Welt vor ihren Bildschirmen einstimmten.

„Reverend President!“, sagte einer der lila gekleideten Pastoren anerkennend, als Tränen rollten, die zugleich Trauer und stolze Freude signalisierten. Am Ende hatte Obama die Namen der neun Menschen gerufen, die zehn Tage zuvor von einem weißen Rassisten bei einer Bibelstunde in der schwarzen Emanuel AME Kirche in Charleston erschossen worden waren.

In der halbstündigen Rede hat Obama es geschafft, dem schwersten Massaker, das seit Menschengedenken in einer schwarzen Kirche der USA geschehen ist, einen Sinn und eine positive Wende zu geben. Er hat einen Akt des Terrors in eine Demonstration von Stärke, Einheit und Glauben verwandelt. Er würdigte die Leben der Ermordeten und die Rolle der schwarzen Kirche. Er befasste sich so eindringlich wie schon lange nicht mehr mit Sklaverei, Rassismus und Schusswaffenwahn. Er sprach von nötigen politischen Reformen.

Mit seiner Rede erinnerte Obama seine eigenen Anhänger daran, warum sie ihn 2008 und 2012 gewählt haben. Zugleich schlug er den Bogen hinüber zu der anderen Seite. Er dankte ausdrücklich der Gouverneurin von South Carolina, der radikal rechten Republikanerin Nikki Haley, dafür, dass sie ihre Position zu der Konföderierten-Fahne geändert hat. Und brachte, bei der Anreise aus Washington, den republikanischen Chef des Repräsentantenhauses, John Boehner, im Präsidentenflugzeug Air Force One mit.

Es war das erste Mal, das Boehner eine solche Einladung von Obama bekam. Die vorausgegangenen sechseinhalb Amtsjahre des Präsidenten waren geprägt von der fundamentalistische Opposition der Republikaner im Kongress gegen den demokratischen Präsidenten. Sie ging quer durch alle Bereiche: von der Haushaltspolitik über die der Gesundheitspolitik bis zur Einwanderungspolitik. Doch die vergangene Woche markierte eine Wende in diesem Verhältnis von permanentem Konflikt. Am Dienstag sorgten die Republikaner im Kongress dafür, dass der Präsident den von ihm gewollten „Fast Track“ bekam: freie Hand beim Aushandeln von Freihandelsverträgen mit den Pazifikanrainerstaaten und Europa. Obamas traditionelle Verbündete – die Mehrheit der Demokratischen Partei, die Gewerkschaften und die Umweltverbände – hatten monatelang gegen „Fast Track“ mobilisiert. Und haben diese vorerst letzte Schlacht im Freihandelskrieg verloren.

Obama hat sich erst jetzt bei den Race Relations für den Ton entschieden, den seine Anhänger von ihm erwartet haben

Zuvor wäre „Fast Track“ beinahe im Kongress gescheitert. Im ersten Anlauf hatte das Repräsentantenhaus – und darin fast sämtliche demokratischen Abgeordneten – dagegen gestimmt. Darauf hin hatte das Weiße Haus – unterstützt von Handelskammern und transnationalen Unternehmen – sein ganzes Gewicht in die Waagschale gelegt, um die Vollmacht doch noch zu bekommen.

Während der Freihandel ein erklärtes Ziel von Obama für seine verbleibende Amtszeit ist, sind die anderen Erfolge der letzten Woche dem Präsidenten wie reife Früchte in den Schoß gepurzelt. Die Gesundheitsreform hat seit ihrer Einführung im Jahr 2010 das Leben von Millionen Menschen in den USA verändert. Zwar hat die Republikanische Partei Hunderte von Schlachten gegen die Reform im Kongress, in den Regierungen der Bundesstaaten und vor sämtlichen gerichtlichen Instanzen geführt. Und zwar behaupten sämtliche republikanischen Präsidentschaftskandidaten weiterhin, dass sie gegen die Gesundheitsreform sind. Doch selbst den fundamentalsten Gegnern der Reform ist klar, dass ihre Rücknahme unpopulär wäre. Insofern entlastete das Oberste Gericht mit seinem Entscheid vom Donnerstag auch den republikanischen Präsidentschaftswahlkampf.

Ähnlich verhält es sich mit der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner. Zwar vertreten viele – wenngleich längst nicht mehr alle – konservativen Politiker in den USA weiterhin öffentlich, dass die Ehe ein Bündnis zwischen einem Mann und einer Frau sei. Doch zugleich klaffen in der Frage der Rechte von Homosexuellen tiefe Risse in der Republikanischen Partei und in den Religionsgemeinschaften. Selbst Obama hatte sich in der ersten Hälfte seiner Amtszeit noch öffentlich als unentschieden und als Nachdenkender in Sachen gleichgeschlechtlicher Ehe bekannt. Inzwischen zeigen alle Meinungsumfragen, dass sich das in dieser Frage rasant schnell verändert hat und dass es gleiche Rechte für alle will. Insofern hievt das Oberste Gericht mit seiner Entscheidung vom Freitag, die Ehe für alle in allen Bundesstaaten zu akzeptieren, einen gesellschaftlichen Fortschritt, der de facto stattgefunden hat, bevor er geschriebenes Recht wurde.

Grundsätzlich anders verhält es sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt bei den „Race Relations“, der Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen. Die USA haben es geschafft, einen schwarzen Präsidenten zu wählen. Doch sie sind noch weit davon entfernt, die „postracial society“ zu werden, die viele Kommenatatoren nach der Wahl Obamas zum Präsidenten voreilig proklamiert haben.

Die Begründung des Obersten Gerichtshof der USA zur Homoehe:

„Kein Bund ist tiefgreifender als die Ehe, weil sie die höchsten Ideale von Liebe, Treue, Hingabe, Aufopferung und Familie verkörpert. Bei der Schließung eines Ehebunds werden zwei Menschen zu etwas Größerem, als sie es einst waren. Wie einige der Kläger in diesen Fällen demonstrieren, verkörpert die Ehe eine Liebe, die sogar über den Tod hinaus bestehen bleiben kann. Es würde diese Männer und Frauen verkennen, zu sagen, dass sie das Konzept der Ehe nicht respektierten. Ihr Plädoyer lautet, dass sie es doch respektieren, so sehr, dass sie es für sich selbst in Erfüllung gehen lassen wollen. Ihre Hoffnung ist es, nicht dazu verdammt zu werden, in Einsamkeit zu leben, ausgeschlossen von einer der ältesten Institutionen der Zivilisation. Sie bitten um gleiche Würde in den Augen des Gesetzes. Die Verfassung gewährt ihnen dieses Recht.“ (ap)

Das Massaker von Charleston war das blutigste rassistische Verbrechen seit Langem. Doch es war kein völlig isoliertes Ereignis. Allein in den Tagen nach den tödlichen Schüssen haben Brandanschläge auf fünf schwarze Kirche in vier Bundesstaaten stattgefunden. Und in den Amtsjahren von Obama ist quer durch die USA in republikanisch regierten Bundesstaaten das Wahlrecht auf eine Art beschnitten worden, die vor allem die „Minderheiten“ – also schwarze und Latino Wähler – betrifft. Das Oberste Gericht hatte diese Eingriffe in das Wahlrecht im Übrigen abgesegnet. Andere Zeichen des anhaltenden institutionellen Rassismus zeigen sich bei der Polizeigewalt, die vor allem junge, schwarze Männer trifft, und in den US-Gefängnissen, in denen unverhältnismäßig viele Schwarze sitzen.

Nach anfänglichen Versuchen, die „Race Relations“ in seinem Land zum präsidentiellen Thema zu machen, hat Obama sich jahrelang zurückgehalten. Seine politischen Gegner warfen ihm „Klientelismus“ und „Aufhetzung und Spaltung der Gesellschaft“ vor. Und seine Berater rieten ihm von allzu parteilichen Stellungnahmen ab. Doch weniger als zwei Jahre vor dem Ende seiner Zeit im Weißen Haus, und ohne den Druck eines kommenden neuen Wahlkampfs hat Obama sich jetzt bei den Race Relations für den Ton entschieden, den seine Anhänger von ihm erwartet haben. Ob dem Ton auch praktische politische Entscheidungen – etwa bei der Schusswaffenkontrolle – folgen werden, ist offen.

Die magistrale Rede in Charleston und die Woche der geballten Erfolge kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Obamas imperiale Politik unverändert bleibt. Allein vom 19. bis zum 21. Juni haben US-Drohnen in Pakistan laut dem Londoner Bureau of Investigative Journalism mehr als 30 Menschen getötet. Die US-Regierung behandelt den nicht erklärten Krieg aus der Luft als Geheimsache.