Der Briefwechsel

Nirgendwo verbringen Kinder tagsüber mehr Zeit, kaum ein Thema beschäftigt Eltern so sehr. In der Schule wird Wissen vermittelt, hier beginnen Lebensläufe und Freundschaften fürs Leben. Was denken SchülerInnen über Lehrer, Mitschüler, Lehrpläne, Reformen und Verbote? Was meinen LehrerInnen dazu? An dieser Stelle erscheint in loser Folge ein Austausch zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Lust aufs Briefeschreiben? bildung@taz.de

SCHÜLERIN
Was Besseres als Unterricht?

Da in letzter Zeit oft Lehrer krank sind, verschieben sich die Stunden oder fallen aus. So zeigte ein Blick auf den Vertretungsplan, dass sich die Physikstunde vom nächsten Montag auf diesen Freitag verschiebt. Am Montag sollte dafür als Ausgleich eine Stunde frei sein.

Am Freitag standen wir also zur zweiten Stunde alle pünktlich vor dem Physik-Raum und warteten auf unsere Physiklehrerin. Die kam dann auch, wusste aber nicht, dass sie heute bei uns Unterricht hat. Wir sagten ihr: „Doch, doch, wir haben jetzt Physik bei Ihnen.“ Aber sie glaubte uns nicht und kehrte wieder um, um selbst auf den Vertretungsplan zu gucken, wie sie sagte. Sie kam nicht wieder.

Als die Stunde zu Ende war, trafen wir sie vor dem Lehrerzimmer. Wir fragte unsere Lehrerin, warum sie nicht wieder gekommen sei. Ihre Antwort lautete: „Ja, tut mir leid, ich hatte Besseres zu tun.“

Wegen ihr haben wir eine Stunde mit Warten vertrödelt. Die Freistunde am Montag entfiel dann auch – wir mussten stattdessen Physik nachholen.

Warum darf eine Lehrerin einfach nicht zum Unterricht kommen? Bei Schülern hieße das „schwänzen“ und würde geahndet. Ich finde, eine Lehrerin hat die Verantwortung auch zu Stunden zu erscheinen, die verschoben wurden. Sie hat die Aufsichtspflicht. Weil sie aber „Besseres zu tun hatte“, mussten wir am Montag Physik nachsitzen. Warum dürfen wir Schüler uns dann nicht am Montag entschuldigen: „ Ja, tut uns leid, wir haben jetzt etwas Besseres zu tun, als bei Ihrem Unterricht mitzumachen.“ Und dann gehen wir nach Hause.

Lisa Arntzen, 14 Jahre, Schülerin an einem Berliner Gymnasium

LEHRER
Vertretungslehrer her!

Müsste man das Verhalten der Lehrerin benoten, bekäme sie eine Sechs. Aber das Verhalten dieser Lehrerin ist ja nicht das eigentliche Problem, zumal fast alle Lehrer ihre Vertretungs- und Aufsichtspflicht in der Regel wahrnehmen. Das eigentliche Problem ist der oft hohe Krankenstand innerhalb eines Kollegiums. Denn wenn ein Lehrer erkrankt ist, ist das für gleich vier Personengruppen ärgerlich.

Erstens für den erkrankten Lehrer, weil er den Stoff irgendwie nachholen muss. Zweitens für den Kollegen, der um kurz vor acht erfährt, dass er in seiner Freistunde nicht korrigieren kann, weil er Unterricht in der 9 a übernehmen muss. Drittens für die Vertretungsplaner, für die es zu einer unangenehmen Herausforderung werden kann, Vertretungsunterricht allgemeinverträglich zu organisieren. Und viertens: Vor allem für die Schüler, die den verpassten Stoff nachholen und oft einen nur mäßig gelaunten Vertretungslehrer ertragen müssen.

An den meisten Schulen sind der Unterrichtsausfall und die damit einhergehende Organisation des Vertretungsunterrichts ein Ärgernis für alle. Deshalb verstehe ich nicht, warum nicht an allen Schulen hauptberufliche Vertretungslehrer eingestellt werden, die den Stundenausfall auffangen und die in der Lage sind, Schülern auch spontan bessere Alternativen als den Arbeitsauftrag „Macht Hausaufgaben“ zu bieten. Professionelle Vertretungslehrer könnten vorlesen, Unterrichtsmaterial zu gesellschaftlich relevanten Themen griffbereit haben oder dafür sorgen, dass die Schüler mit dem Material, das der erkrankte Lehrer gestellt hat, gewissenhaft arbeiten. Das wäre eine Lösung, von der wirklich alle profitieren würden. Sie ist allerdings nicht ganz billig.

Aber wie solltet ihr euch in dem von dir geschilderten, sehr konkreten Fall verhalten? Ihr müsst euch beschweren! Zunächst bei der Lehrerin, die „etwas Besseres“ zu tun hatte. Und wenn das nichts nützt: beim Klassenlehrer! Lehrer erwarten schließlich von Schülern Respekt. Und diesen Respekt haben sie den Schülern ebenfalls unbedingt entgegenzubringen.

Arne Ulbricht, 43, Lehrer für Französisch und Geschichte an einem Berufskolleg in Nordrhein Westfalen und Buchautor. Sein aktuelles Buch „Schule ohne Lehrer“ erschien Januar 2015