Der Oberammergauer

Um die frohe Botschaft von Oberammergau zu verstehen, reicht allein der folgende Name: Abdullah Kenan Karaca, 26, Muslim, Sohn türkischer EinwanderInnen – so einer passt nicht zum Idyll eines oberbayerischen Dorfes, das mit seinen Bildhauerwerkstätten als Fanshop des katholischen Konservatismus gilt. Ein Flüchtlingsheim gibt es hier nicht, und, Gott im Himmel, auch keine Moschee. Und doch hat der dortige Gemeinderat den Mann mit türkischem Pass am Montag mit 13 zu 5 Stimmen zum stellvertretenden Spielleiter der Passionsspiele ernannt.

Diese sind nicht irgendeine Dorfgaudi: Alle zehn Jahre macht sich etwa die Hälfte der 5.000 EinwohnerInnen des Ortes auf, um in dem abgelegenen Alpental das Leiden und Sterben Jesu Christi kostümreich auf die Bühne zu bringen – nach tiefkatholischer Tradition, die auf ein Gelübde im Pestjahr 1633 zurückgeht. Mitspielen darf nur, wer hier geboren ist. Heute ist Oberammergau dafür weltberühmt und zieht während der Aufführungsjahre eine halbe Million ZuschauerInnen an.

Auch Karaca zog es wieder zurück in die Heimat. Die ersten elf Lebensjahre verbrachte er hier, „sehr gute“ Jahre – ohne Diskriminierung, wie er im bayerischem Akzent erzählt. Auch der Chef der Orts-CSU Markus Köpf steht hinter ihm und sagt: „Mich stört, dass ich in einem Zeitungsartikel zehnmal lesen muss: ‚der junge Türke‘ oder ‚der Muslim‘. Der Abdullah ist ein Oberammergauer.“ Seine Partei stimmte geschlossen für Karaca.

Zu den Passionsspielen 2000 brachte diesen ein Vorsingen in der Schule. Der Elfjährige fiel dem Regisseur Christian Stückl auf. Der sagte ihm, er solle sich seine Haare wachsen lassen, um in seiner Rolle als Kind aus dem Jerusalemer Volk authentisch auszusehen. Als Karacas Vater ihm nicht erlaubte mitzuspielen, überredete Stückl diesen persönlich. „Mach ihn aber nicht katholisch“, sagte der Vater am Ende des Gesprächs.

Stückl nahm ihn auch später unter seine Fittiche, Karaca studierte in Hamburg Regie, jüngst inszenierte er den Woyzeck an Stückls Haus, dem Münchner Volkstheater. 2020 wird er nun Regie führen beim theatralen Showdown des Christentums.TOBIAS KRONE