„Sie stirbt“ sind die letzten Worte vor der Pause

PREMIERE Hans Neuenfels hat an der Staatsoper Berlin „Ariadne auf Naxos“ zu Tode inszeniert

Weiß geht immer. Ein weißer Vorhang für die Ouvertüre des Orchesters, dann gleich mehrere weiße Wände hintereinander. Elisabeth Trissenaar betritt die Bühne. Nein, nicht in Weiß. Sie ist ein Mann, gegeltes Haar, schwarzerSchnurrbart, schwarzer Anzug. Sie versucht dem Bariton Roman Trekel, einem Mann in grauem Zwirn, den kulturkritischen und kunstphilosophischen Metadiskurs zu erklären, den sich Hugo von Hofmannsthal ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg ausgedacht hatte, um sein Stück zu retten, das trotz der deftigen Musik seines Freundes Richard Strauss niemandem so richtig gefallen mochte.

Das Stück heißt „Ariadne auf Naxos“ und war von Anfang an ein Zwitter. Denn eigentlich sollte die einaktige Oper, die Strauss für kleines Orchester und große Stimmen (zwei Soprane und ein Tenor) geschrieben hatte, nur das Nachspiel für eine Aufführung von Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ sein. Tatsächlich hat die mythische Figur der Ariadne, die, von Theseus verlassen, klagend auf einer Insel sitzt, einen komischen Unterton, weil sie sich von Bacchus trösten lässt.

Bacchus ist der Gott des Weines. Um diese Pointe der antiken Liebesklage besser ausspielen zu können, ließ Hofmannsthal den ganzen Molière fallen und schrieb ein neues Vorspiel, in dem nun ein Komponist die Hauptrolle spielt. Strauss wollte dafür unbedingt noch einen Sopran haben, und so sorgt nun im Schillertheater Berlin, wo die Staatsoper immer noch spielen muss (ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss beschäftigt sich inzwischen mit den Sanierungskosten des Stammhauses) Marina Prudenskaya für den ersten und eigentlich auch einzigen Höhepunkt des Abends: Sie verliebt sich in Zerbinetta, die von Molière geerbte Anführerin der Gauklertruppe, die sich schon in der Erstfassung auf Ariadnes Insel verirrt hatten, ohne dass man verstand, warum.

Das soll nun besser werden. Zerbinetta klärt den Komponisten über die Melancholie der Komik auf. In einem wunderbaren Liebesduett gesteht die Liebhaberin aller Männer ihre Trauer. Danach ist der Komponist der Tragödie mit allem einverstanden, was die gestrenge Elisabeth Trissenaar der ganzen Truppe befohlen hat. Sie ist der Haushofmeister im weißen Schuhkarton. Der Herr des Hauses, unsichtbar immer noch Molières Bürger, hat eine Tragödie und eine Komödie bezahlt. Jetzt sollen beide gefälligst gleichzeitig aufgeführt werden, sofort und noch vor dem Feuerwerk um neun. Weiß geht immer. Pause. Schwarz geht auch. Die Rückwand ist jetzt schwarz, weiß sind die Seitenwände und antike Säulentrümmer, die überall herumliegen.

Und weiß vor allem sind die drei Frauen, denen Strauss eine ziemlich gewagte Mischung der drei Damen aus Mozarts Zauberflöte und Wagners Rheintöchtern in die Noten geschrieben hat. Sie machen es gut, die Krankenschwestern, aber es nützt nichts. Schwarz gewandet trauert Camilla Nylund auf der weißen Chaiselongue. Es nützt auch nichts, dass Zerbinetta, ganz in Rot, mit ihrer Spaßtruppe hereinkommt. Ariadne klagt, bis endlich Roberto Saccá kommt, ein Mann von heute mit beinhartem Tenor, daher geistig etwas verwirrt. Er verwechselt die Mythen von Circe und Ariadne, aber was soll’s? Er ist nun mal Bacchus, der Weingott, und die beiden mögen sich. Mit ein bisschen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll könnten sie es ganz gut haben.

Aber die rote Zerbinetta hat sich zu früh gefreut. Ariadne rammt sich einen Dolch in den Bauch. Marina Prudenskaya stürzt herein und umarmt die Tote. Sie hat recht behalten: „Sie stirbt“ waren ihre letzten Worte vor der Pause.

Der Komponist hat immer recht. Das findet auch Ingo Metzmacher, der die Staatskapelle Berlin dirigiert. Das ist eines der besten Orchester der Welt, und genau so klingt denn auch dieser kammermusikalisch fein ziselierte Strauß der Instrumente, präzise, durchsichtig und raffiniert. Die sparsame Besetzung hat den Komponisten freilich nicht daran gehindert, extrem anspruchsvolle Gesangspartien zu schreiben. Nur Marina Prudenskaya kommt damit zurecht. Bei Brenda Rae stört vor allem das unkontrollierte Tremolo in ihrer eigentlich sehr schönen Stimme. Besonders schlimm ist es an den Stellen, in denen Strauss der Zerbinetta barocke Stilmittel zumutet. Triller und staccato zu singende Figuren sind dann kaum noch voneinander zu unterscheiden. Und für die Ariadne fehlt es Camilla Nylund wohl doch an Glanz und Strahlkraft in den Höhen.

Und Hans Neuenfels? Er hat Ariadne inszeniert, und am Ende ist Ariadne tot. Sonst ist ihm zu Strauss und Hofmannsthal nichts Neues eingefallen. Weiß geht immer. NIKLAUS HABLÜTZEL