Ein aggressiver Humanist

„Ich trauere um die Menschen, die an den EU-Außengrenzen ertrinken“

Helfen ergibt sich aus allem, was wir aus der Geschichte gelernt haben. Sei es in Bezug auf den Holocaust, Muslime in Bosnien, die alleingelassen wurden, Ruanda oder aktuell den Syrern, denen niemand hilft“, sagt Philipp Ruch, der künstlerische Leiter der Berliner Gruppe Zentrum für Politische Schönheit.

Das Motto des Regisseurs und Philosophen aus Dresden, der gerne Strickjacken, Jacketts und gestreifte Hemden trägt, lautet: „aggressiver Humanismus“. Seine Aktionskunst, die im öffentlichen Raum stattfindet, soll wehtun. Ruch will, dass die Zuschauer, die Medien und die Politik die Komfortzone verlassen müssen, er will, dass der Schmerz, den ihre Politik beziehungsweise Ignoranz verursacht, sich gegen sie selbst wendet.

Ruchs künstlerische Stilmittel sind die Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Pathos, Zynismus, Denunziation und Distanzlosigkeit. „Ich trauere um die Menschen, die an den EU-Außengrenzen ertrinken.“ Die Syrerin, die er und seine Mitstreiter vom Zentrum für Politische Schönheit nun in Berlin beerdigen lassen möchten, sei „auch seine Mutter“.

Den abgenutzten und für die Entmenschlichung von Menschen in Not instrumentalisierten Begriff „Flüchtling“ lehnt Ruch ab. Und immer wieder kritisiert er die aus seiner Sicht allzu harmlosen Aktionen von Amnesty International in Bezug auf „Einwanderer“. Etwa, als die Menschenrechtsorganisation letztes Jahr dazu aufrief, Papierschiffchen gegen das Massensterben im Mittelmeer zu falten – auf Bögen mit der Aufschrift „Menschenrechte kennen keine Grenzen. amnesty.de/S.O.S. Europa“. Darüber goss Ruch auf einer Veranstaltung des Computer Chaos Club viel Spott aus. Seine Aktionskunst dagegen wird die Republik verändern – das ist Ruchs erklärte Überzeugung.

„Die Toten kommen“ ist die fünfte Aktion der Künstlergruppe, die Ruch gemeinsam mit dem Juristen und „Eskalationsbeauftragten“ Stefan Pelzer anführt. Während ihrer Aktionen haben alle Mitwirkenden Rußstreifen im Gesicht – schließlich ist man nichts weniger als im Krieg gegen die Gleichgültigkeit.

Erst vor Kurzem hat Ruch seine Doktorarbeit „Ehre und Rache. Eine Gefühlsgeschichte des antiken Rechts“ den ihn betreuenden Berliner Professoren Herfried Münkler und Hartmut Böhme überreicht. Im Herbst 2015 erscheint sein Buch „Wenn nicht wir, wer dann?“ bei Heyne/Ludwig. INES KAPPERT