„Eltern wollen eine Lösung“

HOMÖOPATHIE Bei ihren Kindern vertrauen viele Eltern auf Globuli und Co. Warum, erklärt Kinderärztin Annette Lingenauber im Gespräch mit der taz

■ ist niedergelassene Kinderärztin und Pressesprecherin des Berufsverbandes für Kinderärzte in Hamburg.

INTERVIEW KRISTOF BOTKA

taz: Frau Lingenauber, wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft. Warum vertrauen trotzdem viele Eltern auf homöopathische Mittel, deren Wirkung nicht nachweisbar ist?

Annette Lingenauber: Eltern denken ganz oft in den Kategorien „natürlich“ und „chemisch“. Alles was natürlich ist, ist gesund für mein Kind, Medizin dagegen ist Chemie und schädlich. Da verliert man schnell aus dem Blick, dass beispielsweise der Fingerhut zwar sehr natürlich ist, mein Kind aber trotzdem eine schwere Vergiftung bekommt, wenn es auf ihm herumkaut. Und Eltern wollen eine handfeste Lösung, obwohl viele Beschwerden wie leichte Infektionen auch von alleine verschwinden würden.

Verschreiben Sie selbst homöopathische Mittel?

Nein. Meines Wissens wurde nie festgestellt, dass homöopathische Mittel besser wirken als ein Placebo. Evidenz-basierte Medizin halte ich nach wie vor für sinnvoller. Außerdem ist mein Budget begrenzt. Was ich verschreibe, soll daher wirtschaftlich, angemessen, notwendig und zweckmäßig sein. Da homöopathische Mittel diese Kriterien und auch die Kriterien der Evidenz nicht erfüllen, ist es eigentlich logisch, dass ich sie nicht verschreibe.

Was halten Sie denn vom medizinischen Prinzip der Homöopathie, Symptome mit Stoffen zu bekämpfen, die dieselben Symptome auslösen?

Sie müssen den historischen Kontext sehen. Als das Prinzip vor 200 Jahren entwickelt wurde, hatten die Menschen noch herzlich wenig effektive Medikamente und viel weniger Ahnung davon, warum eine Substanz wirkt. Damals war das sicher ein interessanter Ansatz, aber heute ist das Prinzip lange überholt.

Wie sehen das die anderen Kinderärzte in Hamburg?

Die meisten folgen der Empfehlung der Gesellschaft für Kinderheilkunde, die homöopathische Behandlungen nicht als ausschließliche Therapie befürwortet. Ich schätze, dass weit über ein Drittel der Kinderärzte gelegentlich ein solches Medikament verschreiben. Ausschließlich homöopathisch behandelt jedoch die absolute Minderheit.

Sehen Sie in der Behandlung auch mögliche Gefahren?

Jeder gewissenhafte Arzt weiß wo die Grenze liegt und wird keine Lungenentzündung mit Globuli behandeln. Es gibt aber die Tendenz, dass Eltern nicht mehr so oft auftretende Krankheiten, wie Masern, unterschätzen. Das birgt schon ein gewisses Risiko. Die Mittel selbst dagegen überhaupt nicht. In der Klinik wurde ich oft von besorgten Eltern angerufen, die mir erzählten, ihr Kind hätte eine ganze Flasche Globuli verschluckt. Da wurde der eine oder andere natürlich nachdenklich, als ich völlige Entwarnung gegeben habe.

Erkennen Sie in Hamburg einen Trend zur Homöopathie?

Seit ich mich 2009 niedergelassen habe, nicht. In den letzten 30 Jahren ist die Nachfrage aber deutlich gestiegen. Ich selbst erlebe, dass viele Eltern durch das Internet verunsichert sind, weil sie dort Schlechtes über die Schulmedizin lesen. Abhängig ist der Trend auf jeden Fall von der Klientel der Patienten. Vor allem unter jungen, gebildeten Menschen, die wenig und meist nur leicht krank sind, sind homöopathische Mittel beliebt.

Bezahlen manche Krankenkassen auch deshalb homöopathische Mittel?

Richtig. Die Kassen, das müsste lauter gesagt werden, treffen Entscheidungen oft nicht, weil sie gut für den Patienten sind, sondern weil sie damit eine gewisse Klientel an sich binden können. Mit jungen, gesunden Beitragszahlern macht man natürlich das beste Geschäft.

Sollte den Kassen verboten werden, diese Leistungen zu tragen?

Zumindest sollte man für homöopathische Behandlungen eine Zusatzversicherung abschließen müssen. Und die kann nicht ganz günstig sein, wenn Sie sehen, was die Erstanamnesen kosten.

Die beinhalten aber auch ein einstündiges Gespräch. Nährt sich die Beliebtheit der Homöopathie auch aus der Zuwendung, die Eltern bei Schulmedizinern vermissen?

Sicher kommt die Behandlungszeit vielen sehr kurz vor. Das kann jeder Kinderarzt in seinem Praxisalltag aber entsprechend steuern. Ich glaube, wir sind in der Pflicht, die Eltern in einem ausführlichen Vorsorgegespräch zu beruhigen. Zum Beispiel können wir erklären, dass im ersten Lebensjahr zwangsläufig viele Infekte auftreten und dass sie auch wichtig sind, um das Immunsystem aufzubauen. Um solchen Ängsten zu begegnen, müssen wir Schulmediziner uns auf jeden Fall Zeit nehmen.