AMERICAN PIE
: Der König und sein Knappe

NBA Damit LeBron James den Titel gewinnen kann, muss sich der unscheinbare Matthew Dellavedova zum Helden aufschwingen

Während gefühlt 20.000 Fans in gelben T-Shirts in der Oracle Arena zu Oakland noch rätselten, was genau da denn gerade passiert war, wusste LeBron James, wem er zu danken hatte an diesem Sonntagabend in Kalifornien. Gerade hatten seine Cleveland Cavaliers die gastgebenden Golden State Warriors mit 95:93 nach Verlängerung niedergerungen und in der NBA-Finalserie zum 1:1 ausgleichen können. „Er hat uns alles geben – und noch mehr“, entfuhr es einem sichtlich mitgenommenen James im Interview noch auf dem Parkett. „Er war einfach unglaublich, er hat gekämpft, er hat gereboundet, er hat im richtigen Moment Würfe getroffen.“

Der so Gepriesene heißt Matthew Dellavedova und hatte zuvor sein Gesellenstück abgeliefert: Gegenspieler Stephen Curry, der Star der Golden State Warriors, der zum MVP der NBA, zum besten Akteur der Saison gewählt worden war, erwischte einen rabenschwarzen Abend – dank eines 24-jährigen, blässlichen Australiers. Nur 2 von 15 Versuchen von der Dreipunktelinie traf Curry, der allgemeinhin als der beste Distanzschütze der Basketballwelt gilt. Ein einsamer Rekord in der Historie der NBA-Finalserien.

Der 27-Jährige konnte nur 4 seiner 19 Zähler im direkten Duell mit seinem Bewacher erzielen, blieb weit hinter den gewohnten Leistungen zurück. „Würfe, die ich sonst treffe, sind nicht in den Korb gefallen. Ich bin heute einfach nicht in meinen Rhythmus gekommen“, erklärte Curry konsterniert. „Das passiert jedem mal. Ganz egal, ob du Ersatzspieler bist oder der MVP“, zuckte Golden-State-Trainer Steve Kerr nach der Partie mit den Schultern.

Doch beide verkannten die Energieleistung von Dellavedova. Er störte den offensiv so gefährlichen Curry bei jeder Aktion, brachte ihn an den Rand der Verzweiflung, hechtete nach Bällen – und verwandelte zehn Sekunden vor Schluss auch noch selbst die beiden siegbringenden Freiwürfe.

Dabei war Dellavedova nur durch die schwere Verletzung von Spielmacher Kyrie Irving, der sich im Finalauftakt bei einem Zusammenprall die linke Kniescheibe brach, in die Startformation gerückt. Ausgerechnet der Bankdrücker mit der Aura eines Beamten wurde über Nacht befördert zum zentralen Akteur in der Rotation von Cavaliers-Coach David Blatt. Der betreute Dellavedova mit der Herkulesaufgabe, nicht nur den einen Ausnahmespieler (Irving) zu ersetzen, sondern auch noch einen weiteren (Curry) aus dem Spiel zu nehmen. Irgendwie.

Nach der Verletzung von Irving waren die Cavs, die seit geraumer Zeit auch schon auf den verletzten Forward Kevin Love verzichten müssen, bereits abgeschrieben worden. „Das ist immer noch ein Mannschaftsspiel – und eine großartige Mannschaftsleistung hat uns heute zum Sieg geführt“, analysierte Blatt später. Tatsächlich aber war es einmal mehr vor allem „King“ James, der die Cavs mit seinem begnadeten Können zum Sieg hievte und 39 Punkte, 16 Rebounds und 11 Assists sammelte. Karikaturen zeigen Blatt vor einer Taktiktafel, auf der als einzige Vorgabe in großen Lettern „LEBRON“ steht.

Der König selbst gibt sich Mühe, seine Untertanen mit Lob zu motivieren: „Ohne Delly gehe ich nirgendwo mehr hin“, scherzte James auf dem Weg zum Mannschaftsbus. Nach der ersten Partie noch musste Knappe Dellavedova für den Weg von der Halle zum Hotel den Fahrdienst Uber nutzen – der Mannschaftsbus war ohne ihn abgefahren. Die Chancen stehen gut, dass das nicht noch mal passieren wird.

DAVID-EMANUEL DIGILI