You’ll never bike alone

TANDEMS Immer hintereinander, immer miteinander – lässt sich Mobilität noch geordneter und solidarischer erleben als auf einem Tandem? Eventuell auf einem Stufentandem, das vorn die Sitzschale eines Liegerads hat

Faszination Tandem: ständige Nähe, solidarische Kraftentfaltung, gemeinsames Ankommen

VON HELMUT DACHALE

Wer heutzutage ein ganz reales Tandem sehen möchte, gefahren von leibhaftigen Menschen, dürfte lange suchen müssen. „A bicycle built for two“, wie der Zweisitzer vor langer Zeit besungen wurde (und dann auch noch mal von Blur), ist mittlerweile so präsent wie eine DM-Banknote. Wir begegnen dieser raren Erscheinung auf dem Weser-Radweg, irgendwo zwischen Uffeln und Rinteln. Ein klassisches Modell, schon gut 15 Jahre alt, Alurahmen und ausgestattet mit Trommelbremsen und Kettenschaltung. 27 Gänge.

Dass man mit so einem Long Vehicle fast immer auf der Überholspur fahre, erzählen Fahrerin und Fahrer als Erstes und unisono. Was vor allem an der Verdopplung der Antriebskraft liege. „Mit vier Beinen ist man halt schneller als mit zweien“, meint sie. „Allein wäre ich dazu nicht mehr fähig.“ „Doch man sollte nie vergessen“, erklärt er, „dass auf einem Tandem mehr Masse zu bewegen und abzubremsen ist. Also müssen Rahmen und Bremsen, muss alles hochstabil sein.“ Die beiden, Senioren jenseits der 60, sind erst vor einigen Jahren auf den Tandemgeschmack gekommen, haben sich ihr Gefährt für einen Tausender gebraucht gekauft. Die Fahrtechnik? Lerne man schnell. Dass indes immer nur eine Person lenken kann, könne möglicherweise zu Beziehungsproblemen führen, lacht die Ehefrau. Ach was – aber gewöhnungsbedürftig sei so ein Tandem schon.

Die Länge gut zwei Meter. Das Gewicht häufig 25 Kilo und mehr. Der besondere Platzbedarf. Wer zum ersten Mal draufsitzt, kann rasante Geschwindigkeit genießen – und muss sich auf eine starre Sitzordnung einstellen, die mit unterschiedlichen Funktionen und gemeinhin auch mit unterschiedlichen Perspektiven verbunden ist. Vorne, mit dem freien Blick auf Straße und Natur, hockt der Captain, so die traditionelle Bezeichnung. Und der lenkt nicht nur, er schaltet und bremst auch. Manchmal, das soll es schon gegeben haben, bestimmt er schlicht und einfach, wo es langgeht. Hinter seinem Rücken sitzt der Stoker, der Heizer, und das sagt ja schon alles. Er hat im selben Rhythmus die Beine kreisen zu lassen. Stützt sich auf eine Lenkstange, die gar keine ist. Nicht wenige Paare wechseln sich auf längeren Touren regelmäßig ab, jeder darf mal Captain sein. Doch zu hören ist auch: Darauf kommt es gar nicht an. Ständige Nähe, solidarische Kraftentfaltung, gemeinsames Ankommen – das ist es, was Tandem fahren so faszinierend macht.

Dieses Anforderungsprofil hatte auch Marec Hase im Kopf, der daraus vor 20 Jahren ein Stufentandem entwarf. Heute tritt es als „Pino“ in Erscheinung, ein Bestseller der Firma Hase Bikes in Waltrop. Mittlerweile gilt es als herausragendes Modell, mit dem das Tandem, das ohnehin etwas andere Fahrrad, nachhaltig verändert worden ist. Manche sagen auch: quantensprungmäßig verbessert. Weil beim „Pino“ der Stoker tiefer gelegt ist und deshalb vorne seinen Platz hat. Er liegt quasi in der Sitzschale eines Liegerads, tritt nach vorne und hat unter sich das kleinere 20-Zoll-Laufrad (hinten 26 Zoll). Da der vordere Antrieb zudem über einen Freilauf verfügt, muss der Stoker nicht ständig heizen, kann eine Tretpause einlegen, wann immer er will, und hat dann die ruhig gestellten Tretkurbeln vor sich. Und immer genießt er den unverstellten Blick, wie sein Captain hinten. Der sitzt aufrecht, sozusagen auf der höheren Stufe, und hat den zum Steuern notwendigen Überblick. Was dieser Spaß kostet? In der Allroundversion so um die 4.100 Euro.

Seltsamerweise bietet Hase als kleines Zubehör auch eine Freilaufabschaltung an. „Einerseits hat so ein Freilauf wirklich Sinn, gerade wenn vorne ein Kind oder ein Mensch mit Handicap sitzt“, erläutert Jörg Heydt von Hase Bikes. Und andererseits? „Kann eine Rehatour dazu dienen, sich an bestimmte Bewegungen wieder zu gewöhnen, wobei diese nach Möglichkeit dann nicht zu unterbrechen sind.“ Das „Pino“ ist also in Wirklichkeit ein Rehamobil? Jein, das natürlich auch, heißt die Antwort. Beim Hersteller wie bei Händlern, so auch im „Per Pedal“ in Syke bei Bremen. Ein Fahrradfachgeschäft, das sich auf Elektroräder und Rehafahrzeuge spezialisiert hat und diese heute (6. Juni) auf ihrer alljährlichen Messe „Mobil mit Handicap“ vorstellt. Darunter auch Tandems aus dem Hause Hase. „Gekauft und gefahren werden sie von Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen“, so Marcel Krampfer, Mitarbeiter im Per Pedal. Und die Nachfrage sei stärker denn je.

Es scheint so, als ob das gute alte Tandem doch noch eine Zukunft hat und demnächst wieder häufiger auf Straßen und Radfernwegen anzutreffen ist. Nicht zuletzt deshalb, weil sein wahrer Sinn gerade wiederentdeckt wird. Zwei Menschen auf einem Rad: sie sind sich ziemlich nahe, unterstützen sich gegenseitig, kommen gemeinsam in Bewegung. Mobilität, wie sie allein nicht möglich wäre.