AN DEN MASTEN HÄNGEN KLEINE PLAKATE MIT SELTSAMEN BUCHSTABEN NEBEN DEN POLITIKERGESICHTERN
: Die Statsministeren ruft zur Wahl, und alles ist geschmückt

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Es passiert immer so plötzlich: Tagelang fährt man die immergleiche Landstraße entlang, nur die Windrichtungen ändern sich und die Art, wie die Sonne sich auf den Eternitdächern der Häuser bricht – und dann ist völlig unangekündigt am nächsten Tag irgendwas ausgeschmückt.

Wenn die Busse Fahnen tragen, hat ein Mitglied der königlichen Familie Geburtstag. Wie große gelbe Geburtstagstorten rollen dann die Moviabusse in Richtung Møns Klint, Vordingborg, Præstø – die Dannebro-Flaggen stecken keck an den Seitenspiegeln.

Ich wohne noch nicht so lange hier; ich weiß nicht, was passiert, wenn das Protokoll eines Todesfalles verlangt, die Flaggen auf Halbmast zu setzen. Hängen dann den Bussen die Fahnen zum Auspuff hinaus, oder werden statt der Dannebro schwarze Piratenflaggen an die Seitenspiegel gesteckt?

Auch wenn „Statsministeren“ zur Wahl ruft, ist binnen kürzester Zeit in Sachen Verzierung die Hölle los. Jeder erdenkliche Mast ist mit Parteiwerbung behängt. Wo kommen bloß die ganzen Maste her, und was wollen mir die kleinen A3-Plakate eigentlich sagen? „Pernille, Pernille, Pernille, Pernille“, lese ich und bewege im Vorbeifahren meine Füße dazu im Takt. Die lokale Kandidatin der Sozialdemokraten will mit mir auf Du sein, das kann ich immerhin erkennen, und dass Pernilles Wahlhelfer taktisch einen Vorsprung hatten. Ist doch „Statsministeren“ Helle Thorning Schmidt selbst eine, die standen wohl schon fünf Minuten vor Wahlausruf an den betreffenden Masten mit ihren Tackern und Kabeln.

Aber auch die anderen Parteien lassen sich nicht lumpen. Hat „Pernille“ den besten Platz auf dem Mast, so drängen sich die Kandidaten der „Radikalen“ dennoch mit auf den gleichen Pfahl. Wie im richtigen Leben, teilen sie sich jetzt eben nicht nur die Regierungskoalition, sondern auch das gleiche Stück Holz.

Und dann noch all diese Buchstaben? Warum die I, die Å, die Ø, die B? Als alleinstehende Plakatinhalte drängen sie sich neben die abgebildeten Kandidaten, die ihrerseits auf ihrer Pappe an den Telefonmästen baumelnd so aussehen, als hätte der Bewerbungsfotofotograf ihnen ein unseriöses Angebot gemacht oder sie hypnotisiert.

Ich frage gleich in meiner Sprachschule wegen dieser Buchstaben nach. Ich habe hier im ganzen Land noch keinen Politikverdrossenen kennengelernt. Eifrig und gerne stehen meine Sprachlehrer und Sprachlehrerinnen mir Rede und Antwort. Die Buchstaben seien die Kürzel der Parteien, hätten in der Tat nicht unbedingt etwas mit den Namen der Parteien zu tun (so haben die Radikalen ein B und die Sozialdemokraten ein A), sondern mit der Platzierung auf dem Wahlbogen. A komme da eben zuerst, und das Å der neu gebildeten grünen Partei als Sonderzeichen zuletzt auf dem Bogen, da kann man die leicht finden.

„Folgt ihr der Wahl?“, fragt dann meine Sprachlehrerin begeistert. „Seid ihr wahlberechtigt?“ Meine Mitschüler sind ruhig. Wir können doch noch überhaupt gar kein Dänisch, sind von der Einbürgerung meilenweit entfernt. Aber das Wahlfieber steckt an. Am Abend sehe ich mir im dänischen Fernsehen einen Journalisten an, der einen der Neoliberalen total zur Schnecke macht.

Wie ich die nächsten Wochen unfallfrei überstehen soll, ist mir allerdings noch nicht klar. Die eigenwilligen Muster der Kandidaten an den Pfählen machen, dass ich beim Autofahren den Kopf verdrehe, die Buchstaben vor mich hinmurmele und mir über die Frisuren der Kandidaten Gedanken mache.

Bloß bei uns im Dorf ist es plakatmäßig verhältnismäßig ruhig. Das liegt wohl daran, dass wir hier irgendwie einfach nicht soviel Holz haben. Hier steht nix, außer ein Paar Zaunpfählen und Flieder.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.