Aus gutem Grund verdrängt

GESCHICHTE Kunstprojekt zu jüdischem Mädchenhandel stellt sich im Golem vor

Auf den Spuren jüdischen Mädchenhandels reist die Bremer Künstlerin Elianna Renner seit drei Jahren um die Welt: In Buenos Aires, Bremen und New York hat sie Archive durchsucht, Interviews geführt – und die Friedhöfe jüdischer Gemeinden besucht, wo Grabsteine dokumentieren, was die offizielle Geschichtsschreibung wenig kümmert: die systematischen Verschleppung jüdischer Frauen aus Osteuropa im 19. Jahrhundert.

Renners Projekt „Tracking the Traffic“ rührt damit an aus guten Gründen verdrängte Geschichte. Denn die Figur des jüdischen Mädchenhändlers war ein starkes Narrativ nationalsozialistischer Propaganda und wird bis heute in antisemitischen Verschwörungstheorien bemüht. Renner beschränkt sich darum nicht auf die bloße Darstellung. Gemeinsam mit lokalen Akteuren aus Geschichtswissenschaft, Kunst und Polit-Aktivismus entwickelt sie diskursive Formen, in denen die Instrumentalisierungsgefahr mitgedacht ist, ohne Sprechverbote über geschehenes Unrecht zu verhängen.

Denn auch wenn der Mädchenhandel im späten 19. Jahrhundert kein allein jüdisches Phänomen war, hat er sich im „Schtetl“ doch in besonderer Form ausgebildet: Vor antisemitischen Pogromen aus Russland geflohene JüdInnen bildeten in Warschau ein verarmtes Milieu, in dem Zuhälter und Opfer zahlreich waren. Die meisten von ihnen landeten schließlich in südamerikanischen Hafenstädten, wo „La Polaca“, die Polin, bis heute als geläufige Bezeichnung für Sex-Arbeiterinnen gilt. Solche Sprachbeobachtungen zählen zu Renners Quellen, aber auch Spielfilme, Romane und jiddische Ganovenlieder, die das Wissen um die Geschichte bewahrt haben – Informationen allerdings, die zunächst aus romantisierendem Kitsch zu bergen sind.

Und davon gibt es freilich auch auf der Reeperbahn und im Hamburger Hafen reichlich, wo Renner am Sonntag von „Tracking the Traffic“ erzählt. Auch von hier wurden Prostituierte aus aller Welt verschifft – und werden es noch. Denn auch daran erinnern Renners Arbeiten: Das Problem des Menschenhandels ist keines der Vergangenheit, die Beschäftigung damit heute drängender denn je.

JAN-PAUL KOOPMANN

■ So, 31. 5., 20 Uhr, Golem trackingthetraffic.org