In den Tiefen anderer Seelen

REGIEDEBÜT Der Schauspieler Ryan Gosling hat seinen ersten eigenen Film gedreht: „Lost River“, eine Autobiografie der irreal-fiebrigen Sorte

Gosling zieht es tief in jene Finsternis, die das postmoderne Popkino seit David Lynchs „Blue Velvet“ erkundet

Wenn Schauspieler ins Regiefach wechseln, um ambitionierte Filme zu drehen, zieht das mitunter sehr interessante Ergebnisse nach sich. „Buffalo ’66“ und „Brown Bunny“ von Vincent Gallo sind zwei der schönsten Filme des US-Independentkinos, und Charles Laughtons einzige Regiearbeit, „Die Nacht des Jägers“, ist ein märchenhaft in Western-Noir entrücktes Meisterwerk. Ebenfalls vom Märchen und vom Film Noir inspiriert ist „Lost River“, das Regiedebüt von Ryan Gosling, der als Kinderschauspieler beim Disneyfernsehen angefangen und zuletzt mit Arthouse-Erfolgen wie „Blue Valentine“ und „Drive“ viel Anerkennung erfahren hat. Sein „Lost River“ ist ein an Ambitionen reiches Debüt, das seinen Willen zur Kunst mit düsterem Tonfall und grellen Neonfarben eher akzentuiert als versteckt, dabei aber, um es vorwegzunehmen, auf halber Strecke zum Erliegen kommt.

In „Lost River“ erzählt er eine Pulp-Story im Southern-Gothic-Gewand, situiert in einer verfallenden, exquisit gefilmten Welt, deren einstige, längst geplatzte Träume als verrostete Überhänge in die Gegenwart ragen. Gefilmt wurde in der Nähe von Detroit. Man könnte das sicher auch als Kommentar zur Finanzkrise deuten, die zahlreiche Menschen in den USA um ihre Ersparnisse gebracht hat: Da geht es jedenfalls um einen jungen Mann namens Bones (Iain De Caestecker) in dem fiktiven Städtchen Lost River und um dessen Retterkomplexe. Bones’ Mutter Billy (Christina Hendricks) landet nach einem miesen Hypothekendeal nicht nur in einem halbseidenen Etablissement, sondern gerät auch an einen schmierigen Banker (Ben Mendelsohn), der ihr sehr unverhohlen unmoralische Angebote macht.

Mehr als banale Erkenntnisse versammelt Gosling allerdings nicht, vielmehr macht er den Stoff mythopoetisch im Sinn einer magischen Autobiografie urbar: Er ist selbst Sohn einer alleinerziehenden Mutter und unterstreicht in Interviews die persönliche Komponente des Films, indem er betont, wie sehr er früher andere Männer als Bedrohung für seine Mutter empfunden habe. So stellt „Lost River“ mit seinen drastischen, zusehends irreal-fiebrigen Bildern vielleicht auch eine Art Exorzismus dar: Gosling zieht es tief in jene Finsternis, die das postmoderne Popkino seit David Lynchs „Blue Velvet“ erkundet.

Was auch die Crux dieser nächtlichen Reise darstellt: Überall begegnet man aufgeladenen, freimütig und vielleicht auch etwas unverschämt entlehnten Bildern. Da ist die Kleinstadt, durch deren Nächte ein mysteriöser Verbrecher mit dem Wagen cruist. Da ist der rätselhafte Nachtclub, auf dessen Bühne sich dekadente Szenen abspielen. Da ist das Gewässer, auf dessen Grund eine vergessene, geflutete Stadt schlummert, die einen diffusen Einfluss auf die erratischen Ereignisse ausübt. Da hockt Barbara Steele, einstige Diva des italienischen Gothic-Horror-Films, als groteske Lady im Königreich ihres zugemüllten Dachbodens und harrt der Erlösung, den Blick auf einen alten Fernseher gerichtet, der ihr ihre eigene Vergangenheit vorflimmert. Und der kristallin gehauchte, melancholische Pop, das satte Neonlicht? Glatt übernommen von Nicolas Winding Refn, sichtlich ein Mentor, für den Gosling bislang zweimal vor der Kamera stand.

Dabei legt Gosling unzweifelhaft ästhetisches Gespür und einiges an Geschmackssicherheit an den Tag. Es handelt sich freilich um die erlesene Geschmackssicherheit des hippen Snobs im „me, too“-Modus, vergleichbar einer sorgfältig kuratierten Pinterest-Wand im Netz. Über den bloß entliehenen Status reichen die Bilder nicht hinaus. Gosling wühlt in den Tiefen anderer Seelen nach dem eigenen Schmerz. Und das geht schief. THOMAS GROH

■ „Lost River“. Regie: Ryan Gosling. Mit Iain De Caestecker, Eva Mendes u. a. USA 2014, 85 Min.