„Wir hocken oft nur vor der Glotze“

FANGEN ODER PULEN Mike Adam fährt mit dem Fischerboot hinaus, seine Frau Bettina verkauft die Krabben

■ 43, ist in Friedrichskoog geboren. Nach der Mittleren Reife fuhr er fischen, um die Wartezeit bis zur Ausbildung zu überbrücken – und blieb dabei.

INTERVIEW ESTHER GEISSLINGER

taz: Herr Adam, ab wie vielen Windstärken fahren Sie nicht mehr raus?

Mike Adam: Kommt drauf an. Aus welcher Richtung kommt der Wind? In welchem Revier bin ich unterwegs? Und: Stimmt der Umsatz? Könnte ich heute gut verdienen, wäre ich unterwegs.

Sicher ganz schön anstrengend – Sie sind mehrere Tage auf See, die Arbeit ist hart …

Mike Adam: Ach, körperlich ist das nicht mehr anstrengend, alles läuft automatisch. Aber es sind natürlich viele Stunden zu arbeiten, eigentlich mehr, als wir laut Gesetz dürften. Aber was willst du machen, wir sind nun mal auf See. Und wir arbeiteten ja nicht ständig, sondern hocken oft einfach nur vor der Glotze. Alltag eben.

Bettina Adam: Ja, für euch ist das Alltag. Aber allein, dass der Boden die ganze Zeit schwankt, ist ganz schön anstrengend.

Und wenn es mal richtig schwankt, sprich stürmt? Wird es manchmal gefährlich?

Mike Adam: Also, es säuft schon mal jemand ab. Mal brennt ein Boot aus, und manchmal kippt eins um. Man kann sagen: Einmal im Jahr gibt es einen Unfall. Auch ich wäre schon mal fast gekippt. Aber in anderen Berufen, bei Dachdeckern oder so, gibt es auch Unfälle. Wenn man Angst hat, soll man es lassen.

Sie sind in Friedrichskoog geboren. Stammen Sie aus einer Fischerfamilie?

Mike Adam: Ja, Opa war Fischer, Vater war Fischer, Bruder war einige Jahre Fischer. Ich – eigentlich kein Fischer.

Heißt, Sie wollten lieber an Land bleiben?

Mike Adam: Ich habe mir nie so richtig einen Kopf drum gemacht, was ich eigentlich werden wollte. Nach der Realschule habe ich mich bei der Polizei beworben. Den Test hatte ich bestanden, aber dann gab’s nicht sofort eine Stelle, und zur Überbrückung bin ich auf See gegangen. Eigentlich wollte ich nur für ein paar Monate mit, aber ich bin gleich auf Prozente gefahren, da gab’s in einem Monat leicht mal ein paar Tausend Mark.

Auf Prozente?

Mike Adam: Jeder kriegt seinen Anteil nach Arbeit und Ausbildung. Fangen wir viel, verdiene ich viel. Bleiben wir an Land, verdiene ich nichts. Naja, jedenfalls bin ich dabei geblieben. Weil ich ohne Lehrvertrag angefangen hatte, konnte ich sogar verkürzen und nach 42 Monaten bereits den Gesellenbrief machen. Inzwischen habe ich meinen eigenen Kutter und bilde selbst Lehrlinge aus.

Haben Sie es mal bereut, dass Sie damals so entschieden haben?

Mike Adam: Ich sag’ mal, der Beruf selbst macht immer noch Spaß. Aber das Drumherum wird immer schwieriger. Die Hälfte der Zeit besteht aus Papierkram, und die Einkünfte sind auch nicht grade toll. Zurzeit ist der Fang ganz okay, aber die Preise, die wir kriegen, sind niedrig, weil der Großhandel viele Reserven liegen hat und darum keine Veranlassung, die Preise zu erhöhen. Bisher habe ich in diesem Jahr noch keine müde Mark verdient, schließlich muss ich erst die Verluste vom Winter ausgleichen, wenn wir nicht rausfahren. Und die Einstellung der Leute ändert sich. Mein Lehrling hat gerade Urlaub, weil er Vater geworden ist. Früher hieß das: Zwei Tage an Land reichen.

Kernig, kernig – Frau Adam, war das wirklich so?

Bettina Adam: So in etwa schon. Als unsere älteste Tochter Lucy geboren wurde, war Mike tatsächlich nur wenige Tage an Land und ist dann wieder rausgefahren. Und bis heute fühle ich mich manchmal ein bisschen wie alleinerziehend, weil er eben bei vielen Gelegenheiten nicht da ist. Wobei: Natürlich kann man heute leichter Kontakt halten, wir telefonieren jeden Abend, und er sagt den Kindern gute Nacht.

Sind Sie auch mit der Fischerei aufgewachsen?

Bettina Adam: Nein, ich habe bei einem Fest einen Fischer kennengelernt und fand total spannend, was der erzählt hat. Ich hatte früher das Bild, dass da einer mit Mütze und Pfeife auf so einem Kahn sitzt und morgens raus- und abends reintuckert. Dann kam ich zum ersten Mal mit an Bord und war fasziniert von der vielen Technik. Als ich Mike kennenlernte, fand ich toll, dass er genau wusste, was er wollte: Heiraten, drei Kinder …

Mike Adam: Drei habe ich nie gesagt.

Bettina Adam: Wir haben uns dann auf zwei geeinigt. Ich stamme aus Meldorf, habe in Hamburg gelebt und mich über Itzehoe und Marne Friedrichskoog angenähert. Ich mag den Ort und die Atmosphäre. Man sagt, Krabben sind so ehrlich wie klarer Korn. Und die Leute hier sind ehrlich und gerade heraus. Beruflich habe ich früher etwas ganz anderes gemacht, ich bin Bankkauffrau und hatte viel mit Marketing und PR-Agenturen zu tun. Und bei vielen Leuten aus der Branche habe ich mich immer gefragt, ob die eigentlich noch auf der Erde stehen.

Fischerei ist, ähnlich wie Landwirtschaft, ein Familienunternehmen – was sind Ihre Aufgaben?

Bettina Adam: Ich mache die Buchhaltung, kümmere mich um die Löhne und sonstigen Verwaltungsaufgaben bis auf den Material- und Dieseleinkauf, das macht Mike selbst. Und ich stehe freitags und samstags in Hamburg auf dem Wochenmarkt und verkaufe unsere Krabben. Wir pulen auch selbst – das glauben die Kunden uns nicht, stimmt aber.

Wie schnell sind Sie?

Bettina Adam: Ich bin mittel-schnell, ich schaffe etwa 700 Gramm in der Stunde. Richtig gut ist meine Schwiegermutter, die schafft 1,3 Kilo Krabbenfleisch – heißt also, etwa dreimal so viele Krabben. Wir pulen nicht am Wohnzimmertisch wie in der alten Zeit, wir haben ein Kühlhaus und eine Krabbenküche, alles nach Hygienevorschriften. Ich verkaufe in Halstenbek und Eidelstedt, inzwischen habe ich viele Stammkunden. Krabben verkaufen macht richtig Spaß: Bei Bankgeschäften sieht man erst später, ob sie schlecht waren – bei einer Krabbe sehe ich das sofort. Und ein Produkt, das man gern verkauft, verkauft man am besten.

Aber vermutlich vermarkten Sie nicht den gesamten Fang Ihres Mannes?

Bettina Adam: Nein, das meiste geht an die Erzeugergemeinschaft der Deutschen Krabbenfischer mit Sitz in Cuxhaven. Ihr gehören fast alle Fischer an – damit bilden sie ein Gegengewicht zu den holländischen Firmen, die den Markt lange allein dominiert haben. Die Fanggebiete erstrecken sich von der dänischen bis zur niederländischen Grenze und noch westlich von Helgoland. Egal, wo ein Schiff angelegt, kann es die Fracht löschen.

Mike Adam: Das ist praktisch, aber die Romantik ist nicht mehr so da – dieses Bild vom Fischer, der mit seinem Boot im Sonnenuntergang in den Hafen einläuft.

Frau Adam, Sie sind sehr engagiert in der Bürgerinitiative zum Erhalt des Hafens Friedrichskoog.

■ 40, kommt aus Meldorf und hat Bankkauffrau gelernt. Jetzt managt sie den Fischereibetrieb ihres Mannes.

Bettina Adam: Der Kampf um den Hafen hat uns hier im Ort zusammengeschweißt, auch ich habe dadurch meinen Platz in der Gemeinde gefunden. Denn es dauert ein bisschen, um in so einem Ort richtig Fuß zu fassen.

War es abzusehen, dass der Hafen geschlossen wird?

Bettina Adam: Der Vorsitzende unseres Fischereivereins hat vor Jahren davor gewarnt, dass etwas schief läuft. Nur zur Kutterregatta wurde die Fahrrinne ein bisschen ausgebaggert, aber das reichte nicht aus, um den nötigen Tiefgang zu erhalten.

Mike Adam: Das Land will den Hafen dichtmachen, um Flächen für Naturschutz zu bekommen, und die Sorgen von Landwirten und Fischern interessieren niemanden. Wir Fischer von Friedrichskoog stellen eigentlich die größte Flotte an der Westküste, und wir fahren alle noch unter der Friedrichskoog-Kennung. Aber bis auf eins liegen unsere Schiffe nicht mehr hier, sondern in Büsum.

Was bedeutet das für Sie?

Mike Adam: Man kann nicht mehr mal eben zum Schiff und etwas reparieren. Und statt dass man in den Hafen einfährt und die Kinder stehen da, muss man noch fahren.

Bettina Adam: Mike steigt morgens ins Auto und fährt zur Arbeit, statt übern Deich zum Schiff zu gehen. Das ist schon was anderes. Aber noch gravierender sind die Folgen für den Ort. Es hängen ja nicht nur die Arbeitsplätze der Fischer selbst dran, sondern auch die vielen Familienmitglieder, die mitarbeiten, und die Betriebe drumherum. Und es ist für den Tourismus entscheidend: Gäste kommen hierher, weil es hier einen funktionierenden Hafen gibt. Der Hafen ist wie ein Magnet.

Wenn er wirklich geschlossen wird, welche Folgen befürchten Sie?

Bettina Adam: Das Land hat uns ja einen Erlebnishafen versprochen. Eigentlich sollte man schauen, was es bereits gibt, und daraus ein Konzept entwickeln. Jetzt haben wir eine Seehundstation und den Indoor-Spielplatz „Willi Wal“. Ich sag mal: hmm. Disneyland gibt es überall, die Leute kommen eigentlich, weil sie etwas Authentisches erleben wollen. Das verschwindet gerade. Und man muss Geld ausgeben für Dinge, die bisher von allein funktionierten. Zum Beispiel muss das Wasser für die Seehunde künstlich mit Salz angereichert werden, weil kein Meerwasser mehr reinkommt. Und ohne den Zufluss von der See habe ich große Angst, dass der Hafen sich in eine morastige Kuhle verwandelt.

Das Land wird die Schließung wahrscheinlich durchsetzen. Aber Ihre Proteste gehen weiter. Was hoffen Sie zu erreichen?

Bettina Adam: Ein Ziel ist, zumindest die Wahrheit zu erfahren: Was kostet die Schließung wirklich? Ich wünsche mir eine reale Zahl, und sei es nur als Genugtuung.