Die beste Band des Kontinents

AFROBEAT Die Geschichte der in Mali gegründeten Band Les Ambassadeurs ist westafrikanische Odyssee und Politthriller in einem. Am 27. Mai spielen die wiedervereinten Musiker im Haus der Kulturen der Welt

Sie wurden 1972 als Hofband des hochrangigen Militärs Tiékoro Bagayoko zur abendlichen Unterhaltung gegründet: Les Ambassadeurs aus Bamako entwickelten sich dank ihrer hochkarätigen Besetzung mit international erprobten Musikern und ihrer neuartigen Mischung afrikanischer Stile mit Salsa, Funk, Soul und Rock‘n‘Roll aber schon bald zu einer der innovativsten und einflussreichsten Bands ganz Afrikas. Durch politische Verwerfungen mussten sie Ende der siebziger Jahre aus Mali über die Elfenbeinküste in die USA fliehen, wo sich die Band schließlich entzweite. Fast 30 Jahre nach ihrer Trennung im Jahr 1985 stehen die Musiker seit 2014 wieder gemeinsam auf der Bühne, darunter der Sänger Salif Keïta, der Gitarrist Amadou Bagayoko, der Keyboarder Cheick Tidiane Seck.

■ Les Ambassadeurs: Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 27. 5., 20 Uhr, 29/36/39 €

VON THOMAS VORREYER

Die Stimmung muss unglaublich gewesen sein, vor Selbstbewusstsein berstend. Die malische Hauptstadt Bamako Anfang der 70er. Ein Jahrzehnt nach Erlangen der Unabhängigkeit regiert eine Militärjunta rund um Moussa Traoré. Nummer zwei im Staat ist Tiékoro Bagayoko, der 1970 für seinen Lieblingsausgehort, das exklusive Motel de Bamako, ein neue Hausband zusammenstellt. Sie soll ihn, weitere Militärs, Prominente, westliche Gäste und Botschaftspersonal bespaßen. Von nun an bitten Les Ambassadeurs jeden Abend pünktlich um 21 Uhr zum Tanz.

Rekrutiert wurde die Band aus einem Pool international erprobter Musiker, darunter der ivorische Saxofonist Moussa Cissokho, der senegalesische Sänger Ousmane Dia und, ab 1972, Gitarrist Manfila Kanté aus Guinea. Les Ambassadeurs werden schnell dafür bekannt, sich innerhalb weniger Stunden selbst den ausgefallensten Musikwunsch draufzuschaffen. Im heißen Sog der Nacht verdichten sie leichtfüßig Salsa, Funk, Soul, Rock ’n’ Roll mit manchem Standard des sozialistischen Osteuropa zu einem aberwitzigen Gemisch und eigenen Kompositionen. Bagayoko lauscht voller Stolz einer der besten Bands des Kontinents.

Als dann 1973 der junge Salif Keïta ebenfalls ein Ambassadeur wird, stehen der Gruppe alle Tore offen. Der Mittzwanziger ist schon berühmt: Seit 1970 ist er Sänger der Rail Band, einer ebenfalls von einem hochrangigen Militär geförderten Gruppe. Anders als bei Les Ambassadeurs stammen die Mitglieder durchweg aus Mali und fühlen sich stärker den lokalen Musiktraditionen verpflichtet, wenngleich sie sich wie ihre großen Rivalen auch von anderen Genres beeinflussen lassen.

Salif Keïta, der in seiner Sprache Mandinka singt, ist nicht nur ein Nachfahre Sundiata Keïtas, der einst im 13. Jahrhundert das mächtige Reich Mali begründete, sondern besitzt auch eine seelenzerfurchende, unvergleichliche Stimme. Doch nach den althergebrachten Vorstellungen des malischen Kastensystems ist es Mitgliedern der hohen Familie verboten, Griots zu werden. Die singenden Poeten sind in Westafrika mehr als nur Musiker: Mit ihren Liedern geben sie die Geschichte ihrer Völker und Länder über die Jahrhunderte hinweg weiter. Keïta, der als Albino gesellschaftlich ausgegrenzt wird, widersetzte sich und wurde schließlich in den Bars Bamakos von der Rail Band entdeckt.

Doch jetzt will sich das große Talent weiterentwickeln und wird zu einem Vorgänger Mario Götzes: Er wechselt die Seiten. Der mächtige Tiékoro Bagayoko schirmt den Überläufer gegen den Mäzen der Rail Band ab. Weiterhin verstärkt vom genialen Multiinstrumentalisten Keletigui Diabate am hölzernen Balofon, dem blinden Gitarristen Amadou Bagayoko, und Cheick Tidiane Seck, der sich mit außerweltlich flirrenden Keyboardflächen hervortut, kreieren Les Ambassadeurs einen völlig neuartigen Sound, der für eine neue (west-)afrikanische Identität und Einheit steht und sich dabei seinen Traditionen bewusst ist.

Les Ambassadeurs kreieren einen völlig neuartigen Sound, der für eine neue (west-) afrikanische Identität und Einheit steht

Vergleichbar ist diese Wucht wohl nur mit dem Afrobeat von Fela Kutis Africa 70, auch wenn der in offener Opposition zur Militärregierung seines Landes steht. Einig ist man sich indes in der Verehrung von Sekou Touré, autoritär herrschender Präsident Guineas und das Gesicht des postkolonialen Panafrikanismus. Bei einem Gastspiel – Les Ambassadeurs reisen längst im Auftrag Malis durch die neue westafrikanische Festivallandschaft – widmet Salif Keïta ihm auf Knien einige poetische Zeilen. Touré ist entzückt, die später aufgenommene Studioversion dieser Eingabe wird unter dem Namen „Mandjou“ zum ersten Hit der Band auch über die Grenzen Westafrikas hinaus.

Doch 1978 ändern sich die politischen Verhältnisse, Tiékoro Bagayoko wird inhaftiert. Les Ambassadeurs fliehen in die Elfenbeinküste, wo sie wieder beginnen, in Bars oder auf Hochzeiten zu spielen. Ein Stipendium bringt sie ein Jahr später in die USA. Die dortigen Arbeiten lassen allerdings erste kreative Differenzen hervortreten, 1982 spaltet sich die Ansammlung einzigartiger Musiker, drei Jahre später kommt das endgültige Aus. Keïta wird ein internationaler Star, Amadou Bagayoko mit seiner Frau als Amadou & Mariam weltbekannt und Cheick Tidiane Seck eine Art Superproduzent.

Es ist auch ihrem Einfluss zu verdanken, dass die Musik das wohl wichtigste Exportgut des 2012 bis 2013 von einem Bürgerkrieg heimgesuchten Malis ist. Umso bedeutsamer ist es, dass Les Ambassadeurs seit ihrer Wiedervereinigung im vergangenen Jahr wieder als Botschafter einer grenzüberschreitenden Einheit auftreten. Leider ohne Kanté Manfila, der 2011 verstarb.