STREIK, STURMGEWEHR UND SOMMERLOCH
: Die Chiquita-Republik

VON MIGUEL SZYMANSKI

Deutschland fühlt sich dieser Tage an wie eine Mischung aus tropischem Südeuropa und lateinamerikanischer Bananenrepublik. Das hat nur bedingt mit den Temperaturen zu tun. Bahn und Kitas wurden und werden bestreikt, als lebte die Hälfte der Bevölkerung in einem sozial ungerechten Niedriglohnland. Dabei lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung in einem sozial ungerechten Hochlohnland. Die deutschen Generäle arbeiten aber schon eifrig daran, die Gewerkschaften in ihren Todeszuckungen zu zerschlagen.

Apropos Generäle: Da ich meinen Lebensunterhalt nicht damit verdiene, deutsche Waffensysteme zu kritisieren, die schlecht auf Hitze reagieren, komme ich gut mit den neuen Tendenzen in Sachen Sturmgewehr klar. Sollte sich keine primär militärische Nutzung finden, schlage ich portugiesisches Ikebana vor: rote Nelken in die Gewehrläufe.

War da nicht noch etwas außer Zensur und Journalistenkontrolle hinter den Fassaden? Ach ja: Nationale Geheimdienste spitzeln für Amerika, abgehalfterte Politiker kooperieren mit dem Osten. Kenne ich auch. Die ersten zehn Jahre meines Lebens bin ich in einer Diktatur und im kommunistischen Revolutionswirbel aufgewachsen. Ich fühle mich ganz zu Hause und muss nur Termini aktualisieren; früher CIA/KGB heute NSA/Gazprom.

Auch preußische Sekundärtugenden leiden unter der Hitze. Für eine Schulbescheinigung meiner siebenjährigen Tochter musste ich dreimal im Schulsekretariat vorsprechen. Erst war das Geburtsdatum falsch, dann die Anschrift und in einer dritten Version war die Unterschrift nicht korrekt. Die illegitime Unterschrift fiel während der Vorbeglaubigung beim staatlichen Schulamt in Frankfurt nicht auf. Aber als ich im Regierungspräsidium in Darmstadt war, wo der Schulbescheinigung eine Apostille aufgedrückt werden sollte, offenbarte sich, dass die Schulsekretärin vergessen hatte, „i. A.“ vor ihre Unterschrift zu schreiben. Modern wie eine Bananenschälmaschine war, dass ich am Ende die Verwaltungsgebühr mittels einer Automatenkarte selbst an einem Kassenautomaten zahlen durfte.

Auch sollen jetzt in Latino-Deutschland härtere Strafen her, wenn Polizisten auf Demonstrationen angegriffen werden. Als wäre Körperverletzung auf offener Straße bisher ein rechtsfreier Raum gewesen! Nach der Einweihung der neuen Machtzentrale der EZB müssen aber Zeichen gesetzt werden. Warum also nicht auch im Strafrecht? Liegt irgendwie auf der Hand wie ein Pflasterstein. Nur Befreiungstheologen verstehen das nicht.

Kürzlich in einem ZDF-Krimi: Zwei Brüder, über die man sich echt schieflachen konnte – und die nebenbei Neonazis waren. Herrlich befreiend, wenn man so unkompliziert mit seiner Geschichte umgehen kann. Fünf Minuten später im Film hatte der türkische Pizzabote eine Kugel im Kopf. Aber witzig gemacht. Wer denkt da nicht sofort an den mexikanischen Komiker Mario Moreno alias Cantinflas?

Deutsche Top-Politiker stürzen zwar über erschwindelte Doktortitel und spendierte Bratwurstabende in Bierzelten, aber die institutionelle Korruption auf dem Politikparkett bringt niemanden zu Fall. Die Berlusconisierung Berlins kommt ohne Bunga-Bunga und ständiges Gegrinse aus. Politik ist in Deutschland ein zu ernstes Geschäft, als dass man es alternden Clowns überlässt. Und es gibt einen ganz feinen Unterschied: Die Kanzlerin und der Minister müssen nicht ehrlich sein, wenn sie etwas sagen. Sie müssen nur ehrlich wirken.

Wenn im aufziehenden Sommerloch noch jemand Zweifel hätte: Erstmalig hat in der letzten Woche ein deutsches Kriegsschiff, kaum wurde es entsandt, die ersten Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. So löst man Probleme auf gut Deutsch. Sollte sich die Welt ein Beispiel nehmen. Politische Parolen und Köpfe treiben munter auf dem Strom des medialen Tagesgeschehens. Nur was Substanz und Gravitas hat, geht unter.