Chanita Rodny erinnert sich

Ich war am 8. Mai 1945 in der Schule. Wir sind auf die Tische gestiegen. Es wurde geweint und geschrien. Wir haben uns umarmt.

Mein erste Gedanke war, dass ich jetzt meine Eltern und meinen Bruder Hanns wiedersehen würde. Und ich fürchtete, dass ich mein Leben in England beenden müsste, das ich 1939 mit einem Kindertransport erreicht hatte. Ich hatte doch viele Freunde in Liverpool.

Doch ich hoffte auch, ich könnte schon bald nach Palästina auswandern. Also: Es war ein Weinen und Lachen, aber bei mir war es mehr Weinen. Erst viel später habe ich bei meinen Pflegeeltern Briefe gefunden, darunter einen Rot-Kreuz-Brief, in dem mein Bruder schrieb, dass sie an seinem Geburtstag, dem 18. November 1942, nach Theresienstadt deportiert würden.

Meine Eltern sind später in Auschwitz verbrannt worden, mein Bruder starb im KZ Dachau, fünf Wochen vor Kriegsende. Doch damals, am 8. Mai 1945, dachte ich noch, dass ich sie wiedersehen würde.

1949 kam ich nach Israel. Über die Deutschen habe ich nicht viel nachgedacht. Ich hatte so viel zu tun! Ich habe die Vergangenheit ausgeblendet.

Heute meine ich, dass man Brücken bauen muss. Die Deutschen von heute sind nicht dafür schuldig, was ihre Großväter gemacht haben. Ich habe Berlin besucht und bin sehr dankbar dafür, was in Deutschland heute für die Erinnerung getan wird.

NOTIERT VON KLAUS HILLENBRAND

■ Chanita Rodny wurde als Anneliese Charlotte Löwi 1929 in Berlin geboren. Sie lebt heute in einem Altersheim im Großraum Tel Aviv