Zum Abschuss freigegeben

JAGEN Am 1. Mai beginnt wieder die Jagdzeit in Deutschland. Rund 1.151.000 Stück Rehwild wurden in der letzten Saison geschossen. Doch warum wird heute noch gejagt? Alena Steinbach ist Jägerin. Sie erklärt, weshalb sie die Schorfheide so liebt und Tiere tötet

Wie bei anderen Lebensmitteln auch wollte sie, dass das Fleisch natürlich und unbehandelt ist und aus der Region stammt. Sie entschied, das Fleisch selbst zu besorgen und den Jagdschein zu machen

VON SOPHIE KRAUSE

Ein kalter Wind weht über die Schorfheide, keine Menschenseele weit und breit. Alles wirkt friedlich, der Himmel ist klar und blau. Auf einem Hochsitz am Rande des Feldes sitzt Alena Steinbach und beobachtet ruhig und konzentriert den abgeernteten Acker. Spuren auf dem Feld verraten Wildwechsel: Hirsch, Wildschwein, Reh, Fuchs, Hase.

Die 25-jährige gebürtige Hamburgerin sieht auf den ersten Blick nicht aus wie jemand, der Tiere töten könnte. Sie ist groß und schlank, hat blaue Augen, Sommersprossen auf der Nase und trägt ihre langen blonden Haare offen. Am Waldrand parkt ihr Jeep. Nur ihre feste Kleidung in Tarnfarben lässt die Vermutung zu, dass sie nicht grundlos hier ist. Für Steinbach ist die Schorfheide wie ein zweites Zuhause, sie kommt regelmäßig her. „Ich bin mit der Jagd aufgewachsen“, erzählt sie. Ihr Großvater nahm sie früher oft mit ins Revier, ihr Vater ebenfalls. Mit 18 machte sie ihren Jagdschein. Wenn man sie fragt, was ihr die Jagd bedeutet, sagt sie zuerst: „Es ist eine Lebenseinstellung.“ Sie jage aus Überzeugung.

Die Schorfheide liegt rund 65 Kilometer nordöstlich von Berlin und war schon das Jagdrevier von Kaiser Wilhelm II. Später kamen unter anderem Herrmann Göring und Erich Honecker in das Waldgebiet, um zu jagen. Die Jagd war früher eine Freizeitbeschäftigung der Wohlhabenden, ein angesehener Sport und nicht zuletzt ein Zeichen von Männlichkeit. Man rühmte sich mit seiner Beute, mit schönem Geweih. Später geriet die Jagd ins Zwielicht und wird heute wesentlich stärker hinterfragt: Warum müssen Menschen eigentlich Tiere töten?

Jagd in Deutschland

In Deutschland darf man nicht ohne Jagdschein jagen. Anwärter müssen eine komplexe theoretische und praktische Prüfung zu Themen wie Wildbiologie, Wildhege und Wald sowie eine Schießprüfung bestehen. Zugelassene Jäger jagen nach Wildbret, sie sollen dazu beitragen, die Bestände zu regulieren und Tierkrankheiten zu bekämpfen. Sie müssen sich aber auch um die sogenannte Hege kümmern, das Pflegen von Natur und Tieren. Abgesehen davon gibt es den Ausbildungsberuf des Revierjägers, der in Jagd- und Forstbetrieben arbeitet. Nicht jeder Jäger verdient mit der Jagd auch seine Brötchen.

Nur in speziell ausgewiesenen Gebieten darf gejagt werden. Jedes Bundesland beschließt zudem seine eigenen Jagd- und Schonzeiten. Während der Jagdsaison regelt dann ein Abschussplan der Försterei, wie viele Tiere welcher Art erlegt werden dürfen. Dies dient vor allem anderen der Bestandsregulation in den Gebieten.

Gewehr in Griffnähe

Noch allerdings ist Schonzeit, die meisten Tiere dürfen nicht geschossen werden. Während der Jagdsaison ist Alena Steinbach regelmäßig im Revier, in der Schorfheide oder in Schleswig-Holstein. Sie pirscht durch den Wald oder macht, mit ihrem Gewehr in Griffnähe und einem Fernglas in der Hand, einen Ansitz, so wie jetzt.

Auf dem Hochsitz ist nicht viel Platz, es reicht für eine schmale hölzerne Bank. Von dort aus hat man einen Panoramablick über das ganze Feld und auf den Wald. Es wirkt idyllisch. „Wenn ich hier bin, bin ich glücklich“, erklärt Steinbach. „In der Stadt bin ich eher unglücklich.“ Die Nähe zur Natur gehört für sie zu den wichtigsten Gründen, ins Revier zu gehen.

Die Jagd ist in Deutschland ein sensibles Thema. Kürzlich ergab eine Emnid-Meinungsumfrage in Nordrhein-Westfalen, wo ein neues Jagdgesetz verabschiedet werden soll, dass über 41 Prozent der Befragten die Jagd befürworten, wenn die Jäger sich an Tier-, Arten- und Naturschutz orientieren. 73 Prozent stimmten zu, dass mehr Wild erlegt werden soll, wenn dies zum Schutz des Waldes notwendig sei. Die meisten Menschen dort stehen der Jagd wohlwollend gegenüber.

Trotzdem fordern viele Tierschützer seit Langem ein Jagdverbot und stellen den Sinn der Jagd infrage. Sie weisen auf die Grausamkeit des Jagens und die elenden Qualen hin, die getroffene Tiere vor ihrem Tod erleiden. Den Fallen der Jäger fielen oftmals auch Haustiere wie Hunde und Katzen zum Opfer. Tiere töten sei barbarisch, Jäger seien Mörder. Hinzu kommt eine Trendwende, dass immer mehr Menschen bewusst auf Fleisch verzichten und sich vegetarisch ernähren.

Keine Schuldgefühle

Was treibt also eine junge Frau mit einer Schusswaffe in die Wildnis? Steinbach war als Jugendliche Vegetarierin. „Ich begann mein Leben zu reflektieren und entschied mich gegen Fleisch aus der Massentierhaltung“, sagt sie. Als 17-Jährige wollte sie wieder Fleisch essen. Wie bei anderen Lebensmitteln auch wollte sie, dass das Fleisch natürlich und unbehandelt ist und aus der Region stammt. Sie entschied, das Fleisch selbst zu besorgen und den Jagdschein zu machen. Heute landet nur noch das selbst geschossene Wild auf ihrem Teller. Für Steinbach gilt: „Ich schieße nur das, was meine Familie und ich essen.“ Nie mehr, als gebraucht wird.

Die Deutschen kaufen jährlich tonnenweise billiges Fleisch von Tieren aus Massenzuchtbetrieben, die unter widrigen Bedingungen lebten und am Fließband getötet wurden, so ihr Argument. Welche von diesen Durchschnittskonsumenten das Tier selbst erlegen würden? Vermutlich die wenigsten.

Alena Steinbach hingegen jagt mit gutem Gewissen: „Ich empfinde Respekt und Verantwortung gegenüber dem, was ich tue, und dem Tier, das ich erlege. Aber keine Schuld“, sagt sie. „Ich hätte ein viel größeres Schuldgefühl, wenn ich Fleisch aus Massentierhaltung kaufte.“ Ihr Blick ist ernst. Sie hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

Naturschutz

Die Jagd trägt, aus der Sicht der Jäger, zum Naturschutz bei. „Es geht einfach nicht ohne“, sagt Alena Steinbach. Der Beschuss bestimmter Arten sei in den Wäldern unverzichtbar, um Überpopulationen und Krankheiten zu vermeiden. Schließlich hat sich der Mensch schon so weit in den Lebensräumen der Tiere ausgebreitet, dass es nur wenige Flächen gibt, wo Tiere ungestört leben können.

„Der Bestand muss deshalb gesund bleiben und erhalten werden“, erklärt die Jägerin. Würden zum Beispiel kranke Tiere nicht geschossen, würden sie sich „qualvoll selbst auslöschen.“ Und sie berichtet weiter: Wenn es zu viele werden, dringen sie schnell bis in die Stadtgebiete vor – ein Phänomen, an das man sich heutzutage ja fast schon wieder gewöhnt hat.

Tierschützer hingegen führen gegenteilige Studien an, die nahelegen, dass das Töten der Tiere sei nicht der richtige Weg sei, um den Bestand einzudämmen, da es nur die Lebensbedingungen verbessere und somit die Fortpflanzung begünstige. Der „Blutdurst“ der Jäger sei der wahre Grund für den Beschuss.

Über den Vorwurf des „Blutdurstes“ muss Steinbach schmunzeln. „Die Leute sehen oft gar nicht, was man als Jäger alles macht“, wendet sie ein. „Wir bauen Brutkästen, richten Wildäsungsflächen ein, wir füttern im Winter, wo es erlaubt ist, und das weit weg von Orten, wo gejagt wird, damit das Wild dort seine Ruhe hat.“

Sie betrachtet sich und viele ihrer Mitjäger als Naturschützer und ärgert sich über die Vorurteile, mit denen ihnen begegnet wird. „Warum sollten wir sonst Nistkästen für Vögel oder Fledermäuse einrichten?“, fragt sie. „Wir schießen ja schließlich keine Fledermäuse.“

Anfeindungen

Besonders im Internet finden zum Teil schonungslose Streitereien zwischen Jagdgegnern und Jägern statt. Steinbach erlebt häufig, dass sie und ihre Mitjäger dort angefeindet werden. Sogar Morddrohungen habe es schon gegeben, sagt sie. Außerhalb des Netzes dagegen stößt ihre Tätigkeit bei Fremden eher auf Neugier, erzählt sie dann und lacht. Selbst bei Vegetariern. Schließlich begegne man einem Jäger nicht häufig.

Dass sie eine Frau ist, spiele dabei jedoch überhaupt keine Rolle. „Man muss schon tough sein“, räumt sie allerdings selbstbewusst ein. Mittlerweile nehme auch die Zahl der Jägerinnen zu.

Mehr Aufklärung leisten

Steinbach ist klar, dass die Differenzen zwischen Jagdgegnern und Jägern nicht von einem Tag auf den anderen gelöst werden.

Die Jägerin ist trotzdem mit sich im Reinen. Sie mag die Zeit, die sie hier auf dem Hochsitz oder im Wald verbringt, auch während der Schonzeit, wenn nicht geschossen wird.

Am Abend wird es kühler, die Sonne verschwindet am Horizont. Aus der Ferne kommen Wildgänse herbeigeflogen.

Vielen Menschen bleibe dieser Zugang zur Natur und das Wissen darüber verwehrt, glaubt Steinbach. Hin und wieder nimmt sie deshalb neugierige Freunde und Bekannte mit ins Revier oder macht Wanderungen mit Kindergartengruppen. „Für mich ist das Jagen eine vernünftige, saubere, begründete Sache“, sagt Alena Steinbach zufrieden.