Parteitheater ohne Inhalt

FORUM In Nordrhein-Westfalen liefern sich die AfD-Mitglieder eine Schlammschlacht. Der wegen einer Steueraffäre kritisierte Landeschef Pretzell gibt sich selbstbewusst

■ Nach dem Rücktritt von Hans-Olaf Henkel als AfD-Parteivize haben mehrere AfD-Landeschefs vor einem Rechtsruck ihrer Partei gewarnt. Sollte sich der rechtsnationale Flügel um Sachsens Parteichefin Frauke Petry oder Brandenburgs AfD-Fraktionschef Alexander Gauland durchsetzen, habe die Partei „kaum noch Chancen“ auf Wahlerfolge, sagte der Hamburger AfD-Vorsitzende Jörn Kruse der Deutschen Presse-Agentur. Dies gelte vor allem im Westen. Die Partei sei in dem Fall in ihrer Existenz gefährdet. Auch der baden-württembergische Landesvorsitzende Bernd Kölmel forderte, die AfD müsse sich „vom ganz rechten Rand“ abgrenzen.

■ Hans-Olaf Henkel – einst Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und heute Europaabgeordneter – war vorige Woche als Vizebundesvorsitzender zurückgetreten. Er hatte dies damit begründet, dass „Rechtsideologen“ die Partei zu übernehmen drohten und es bei anderen führenden AfD-Politikern „charakterliche Defizite“ gebe. (dpa)

AUS BOTTROP HANNA VOSS

Eingeladen worden war zu einer „Informationsveranstaltung“, geliefert wurde dann aber am Samstag eine Schlammschlacht, und getroffen hatte sich in Bottrop die nordrhein-westfälische AfD. Nachdem zuvor der Landesparteitag wegen Nichteinhaltung der Einladungsfrist kurzfristig abgesagt worden war, hatte die Partei den Mitglieder trotzdem ein Forum für Fragen bieten wollen – Fragen vor allem zum Landesvorsitzenden Marcus Pretzell, der in den vergangenen Wochen wegen einer Steueraffäre massiv kritisiert wurde.

Dass die AfD in Zukunft fähig sein wird, programmatische Fragen zu beantworten, erscheint nach dem Treffen im Bottroper Saalbau jedoch unwahrscheinlich. Als eingangs darüber beraten wurde, wer die Veranstaltung neutral moderieren solle, erinnerte das Ganze an eine Klassensprecherwahl in der Unterstufe. Auch das zeigt: Die NRW-AfD ist tief gespalten.

Die Flügelkämpfe zwischen den Wirtschaftsliberalen um Parteichef Bernd Lucke und den deutschnationalen Konservativen, zu denen etwa Frauke Petry und Konrad Adam gehören, werden auch im größten Landesverband der AfD ausgetragen.

Ein Anlass des Treffens am Samstagmorgen war die sogenannte Parteikontoaffäre des Vorsitzenden. Es sei unstrittig, dass Marcus Pretzell über ein halbes Jahr hinweg einer einfachen Aufforderung des Finanzamtes nicht nachgekommen sei, sagte Hermann Behrendt, stellvertretender Sprecher und Gegner Pretzells. Dadurch sei es zu Zwangsgeldandrohungen an den Landesverband gekommen. „Das kann nicht toleriert werden“, sagte Behrendt. „Eine unbelastete Arbeit mit Pretzell ist nicht mehr möglich, doch der klebt an seinem Stuhl bis zur Peinlichkeit.“ Behrendt, der selbst mehrfach hart angegangen wurde, kündigte sodann unter Jubelrufen seinen Rücktritt an.

Pretzell konterte unterdessen, es habe lediglich eine Verfügungssperre des Landeskontos gegeben, niemals aber Vollstreckungen. Die Sperre habe sich auf 1.023,50 Euro und einen Zeitraum von 24 Stunden belaufen. Längst nicht alle Teilnehmer hatten Interesse daran, den Sachverhalt endgültig zu klären.

Mitunter erinnerte die Veranstaltung an Klassensprecherwahlen in der Unterstufe

„An so einer unwichtigen Scheiße scheitert Deutschland“, war aus den vorderen Reihen zu hören. Gemeint war nicht nur die Frage nach der angeblichen Steuerschuld Pretzells, sondern auch nach dessen Wohnsitz. Das Landesschiedsgericht der AfD prüft derzeit, ob Pretzell bei seiner Wahl im Juni 2014 einen Wohnsitz in NRW gehabt hat. Seinem Vize wirft Pretzell vor, mehrmals bei seiner Frau angerufen zu haben, um zu erfahren, wo er wohne. „Tiefer kann man nicht sinken“, bescheinigte er Behrendt.

Die Pretzell-Unterstützer waren unter den rund 250 Gästen hörbar in der Mehrheit; Mitglieder mit kritischen Fragen wurden ausgebuht. Für seine Freunde, die während seiner Statements „Bravo“ riefen, hatte Pretzell ein Lächeln übrig. Er gab sich selbstbewusst: „In den letzten acht Wochen hat es schwierige Tage gegeben. Doch dieser heute ist keiner davon.“ Dann zeigte er seine Meldebestätigung, die ihm einen festen Wohnsitz in Bielefeld bescheinigt.

Ein paar Formalien wurden auch angesprochen. In Kürze etwa müssen Delegierte zum Bundesparteitag in Kassel verabschiedet werden. Doch dies ist nur auf einem Landesparteitag möglich. Da appellierte sogar das AfD-Aushängeschild Frauke Petry an den NRW-Landesverband: „Wer gegen einen Landesparteitag Anfang Mai ist, will der Partei bewusst schaden.“

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