Fremde Komplizen

TANZ Wenn Klischees über das Fremde sich von selbst hinterfragen: „Isaac and Ahmed, a peace piece“ – eine Choreografie von Anna Melnikova in den Sophiensælen

Körperliche Einfühlung: Das Betrachten von Bewegung spiegelt sich im eigenen motorischen System

Ein Duell der Blicke. So mutet es an, das Aufeinandertreffen von Isaac Spencer und Ahmed Soura. Unentwegt taxieren sie sich, mal zaghaft und fragend, dann wieder provozierend und ausweichend. Vogelartig spreizen sich die Körper wie in einem Schaukampf, der eine verschwindet im Schatten des anderen.

Die Choreografin Anna Melnikova hat für ihre neue Produktion ein sehr gegensätzliches Tänzergespann auf die Bühne in den Sophiensælen geschickt. Der eine aus Burkina Faso, der andere aus den USA, Isaac und Ahmed, schwarz und weiß, das klingt nach Missverständnissen, gar Glaubenskrieg.

Die Assoziationsspirale sei gewollt, erzählte Melnikova eine Woche vor der Premiere. Wenn die gebürtige Russin über ihre Choreografien spricht, spürt man, dass sie den Dingen gern auf den Grund geht. Das Thema Begegnungen zieht sich durch alle bisherigen Arbeiten. Nun also ein Stück, das mit der Konfrontation dieser zwei Charaktere hineinstößt in Diskurse über das Fremde. Wie entgeht man da plakativen Zuschreibungen?

„Die Frage nach Klischees war ein Knackpunkt, den wir in jeder Probe neu ausgelotet haben“, so Melnikova. Aus den Biografien schöpfen und sie gleichzeitig verwischen, mit dieser Methode sollen sich interpretatorische Räume öffnen, in denen sich Klischeehaftes von selbst hinterfragt.

Das Publikum wird in diesem Spiel zu Komplizen gemacht, die eingeladen sind, die biografischen Splitter zu dechiffrieren. Die Livebegleitung mit Musik und Text schiebt dafür Mosaiksteine der Lebenswege zusammen, in denen sich verblüffend viele Gemeinsamkeiten zeigen. Beide sind 32 Jahre alt und das Jüngste von vier Geschwistern, beide haben mit 14 ihre Religion aufgegeben. Wenn sie den Partner in die jeweils eigene Welt einweisen, dann sind auch die Zuschauer gefordert, mit wachen Augen und Ohren der Identitätsschau zu folgen.

An einer Stelle erklären sie sich gegenseitig etwas auf Schwedisch und in der burkinischen Sprache Dioula. Dass dabei Volkstanzidiome aufblitzen, lässt sich nur erahnen. Die stärksten Momente im Stück kommen ohne Text aus, wenn die Geschichten sich im Dialog der Körper weitererzählen.

Das nonverbale Umgarnen kommt nicht von ungefähr. In kinästhetischer Empathie sieht Anna Melnikova einen weiteren Schlüssel für das intuitive Begreifen des anderen. Der Ansatz, der auch in der Tanz- und Kunsttherapie eine Rolle spielt, geht davon aus, dass sich das Betrachten von Bewegung im eigenen motorischen System spiegelt, dass Einfühlung auch noch andere Kanäle nehmen kann als den rein kopfbetonten.

Dass Soura und Spencer sehr geschmeidige Vertreter der zeitgenössischen Sparte sind, kommt dem Stück sehr zugute. Dahin gelangt sind sie auf unterschiedlichen Wegen. Soura startete als Autodidakt, bevor er Tanz in Ouagadougou und Montpellier studierte. Für ihn ist es kein Widerspruch, 22 traditionelle afrikanische Tänze zu beherrschen und gleichzeitig in anderen Stilen zu Hause zu sein. Spencer wiederum machte Station bei Hubbard Street Dance Chicago und beim schwedischen Cullberg Ballet.

Ein ungestümes Aufeinanderprallen von Weltbildern, wie es der Titel suggeriert, vermeidet die Inszenierung. Gleichwohl rücken einige Szenen die Herkunft der Akteure und damit größere Koordinatensysteme ins Blickfeld. Wenn Spencer beim Intonieren der amerikanischen Hymne nicht über die ersten Takte hinauskommt und Soura „Imagine“ von John Lennon durchsingt, dann schwingen darin klare Botschaften mit.

Als politisches Stück möchte Anna Melnikova das Duett dennoch nicht verstanden wissen, vielmehr bricht sich die Begegnung auf eine sehr persönliche Friedenssuche herunter. Eine, die am Ende der sechzig Minuten garantiert Denkimpulse ausgelöst hat. ANNETT JAENSCH

■ Wieder in den Sophiensælen, 24. + 25. April, 20 Uhr