Studenten verschaffen sich Politikergehör

Streikende Studenten führten Gespräche mit Politikern: Wissenschaftssenator Flierl diskutierte freiwillig, bei Wowereit wurde nachgeholfen. Für die heutige Großdemo aller drei Unis der Stadt werden rund 10.000 Teilnehmer erwartet

Damit hatte Klaus Wowereit nicht gerechnet: Als der Regierende SPD-Bürgermeister gestern Morgen ahnungslos die Sanierungsarbeiten im Naturkundemuseum besichtigte, wurde er von Studenten der angrenzenden landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät (LGF) der Humboldt-Uni (HU) festgesetzt: Sie blockierten die Ausgänge, bis er sich zu einem kurzen Gespräch bereit erklärte.

In seiner Stellungnahme vor rund 500 HU-Studenten bekundete Wowereit zwar Verständnis für den Protest, machte aber auch deutlich, dass der Senat angesichts der desolaten Haushaltslage nicht von den Sparbeschlüssen abrücken werde. Die geplante Schließung der LGF bezeichnete er als uniinterne Entscheidung. Er könne nicht in die Autonomie der Hochschule eingreifen. „Wir sind damit nicht zufrieden“, so LGF-Fachschaftssprecher Torben Reelss. „Das ist wie ein Pingpongspiel, bei dem sich Bürgermeister und Unipräsident gegenseitig die Schuld für die Kürzungen zuschieben.“

Am Nachmittag erwischten die Studenten den Bürgermeister dann schon wieder: Als er um 17 Uhr die Weihnachtsbeleuchtung Unter den Linden in Betrieb nehmen wollte, erwarteten ihn bereits rund 300 protestierende Studenten. Und pfiffen so laut, dass Wowereit seine Ansprache abbrechen musste und schleunigst das Weite suchte.

Auch Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) musste sich gestern einer Abordnung von 14 streikenden TU-Studenten stellen. „Wir sind zufrieden“, bilanziert Student Janne Hahne. „Unser Ziel war es, den Senator zum Nachdenken zu bringen, und das haben wir erreicht.“ Auch wenn sie Flierl nicht zu Zugeständnissen bewegen konnten, habe er immerhin weitere Gesprächbereitschaft signalisiert.

Annette Walz, Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung , zog ebenfalls eine positive Bilanz: „Es war ein angeregtes Gespräch.“ Flierl habe die Studenten ermutigt, eigene Strukturvorschläge zu erarbeiten und mit ihrer Unileitung zu diskutieren. Als Nächstes wollen die TU-Studenten ein Gespräch mit Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) suchen.

Neben den Gesprächen mit Politikern veranstalteten die Studenten auch wieder zahlreiche öffentliche Protestaktionen: Am Alexanderplatz demonstrierten nachmittags rund 150 HU-Studenten mit einer kurzzeitigen Straßenblockade gegen die Kürzungen an den Hochschulen.

TU-Studenten veranstalteten eine Vorlesung in Elementargeometrie vor dem KaDeWe. Medizinstudenten der Charité verlegten unter dem Motto „Bildung auf der schiefen Bahn“ eine Lehrveranstaltung in die S-Bahn. Sie hatten Transparente dabei, auf denen stand: „Studium in vollen Zügen (genießen)“ und „Zieht die Notbremse, bevor unsere Bildung entgleist“.

Für gestern Abend waren weitere Aktionen geplant, unter anderem eine Kundgebung von Romanistikstudenten der HU vor dem Willy-Brandt-Haus sowie ein „Jubeltreffen“ für Senator Flierl vor dem Haus der Berliner Festspiele. Für heute rufen alle drei streikenden Unis erneut zu einer Großdemo auf. Es werden rund 10.000 Teilnehmer erwartet. Die Demonstration beginnt, wie schon vergangenen Samstag, um 13 Uhr am Brandenburger Tor und endet gegen 16 Uhr vor dem Roten Rathaus. Die Streikenden wollen in den kommenden Wochen jeden Samstag protestieren. MEIKE RÖHRIG