Mister 100.000 Volt

ENERGIE Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wird Energiekommissar der EU. Umweltschützer sind entsetzt, weil er die Energielobby unterstützt

„Die Wahl lässt das Schlimmste für die zukünftige EU-Energiepolitik befürchten“, äußert Greenpeace

VON TARIK AHMIA

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg soll neuer Energiekommissar der EU werden. Das teilte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Freitag in Brüssel bei der Vorstellung der zukünftigen EU-Kommission mit. „Energie ist eines der wichtigsten Ressorts“, sagte Barroso, der Oettinger am Freitag große Erfahrungen in Energiefragen bescheinigte.

Das neue Amt bringt für Oettinger, der seit 25 Jahren als Landespolitiker aktiv ist, herausfordernde Aufgaben mit sich. Er muss einen Binnenmarkt für Energie schaffen, sich um die Sicherheit und Effizienz der Energieversorgung kümmern und dazu beitragen, dass die energieintensiven Industrien weniger auf Kohle, Öl und Gas angewiesen sind. Jedoch liegt die Kompetenz für Klimafragen nicht im Entscheidungsbereich des 56-jährigen Schwaben. Dafür wurde in der EU-Kommission erstmals ein Klimaressort geschaffen, das von der Schwedin Cecilia Malmström geleitet wird.

Kommissionspräsident Barroso lobte am Freitag Oettingers wirtschaftlichen Sachverstand. „Er ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der achtgrößten Volkswirtschaft Europas, wenn das Land unabhängig wäre“, sagte Barroso. Kurz nach der Nominierung Oettingers durch die Bundesregierung war von solch einem Lob Barrosos allerdings noch nichts zu hören. „Was soll das?“ – mit diesem Ausruf wird Barroso in Medienberichten zitiert, als er sich damals bei deutschen Europapolitikern telefonisch über Oettinger erkundigte.

Bei der aktuellen Besetzung des Energieressorts hätten sich laut Barroso mindestens sechs Staaten um die Leitung bemüht. „Wir haben aus der Energie eine sehr wichtige Priorität gemacht und Energie steht auf unserer Tagesordnung jetzt ganz oben“, sagte Barroso.

Vor der Ernennung der 27 KommissarInnen muss das Europaparlament der KandidatInnen-Liste allerdings noch zustimmen. „Ich bin überzeugt, dass das Europaparlament diese Nominierungen annehmen wird“, sagte Barroso. Wenn alles nach Plan verläuft, könnte die neue EU-Kommission ihre Arbeit am 1. Februar 2010 aufnehmen.

In umweltpolitischen Kreisen löste die Berufung Oettingers überwiegend kritische Reaktionen aus. „Das ist eine ganz schlechte Wahl für Europa“, sagte Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer am Freitag. Oettinger stehe für Schrott-Atomkraftwerke wie Neckarwestheim I und für die Behinderung des Ausbaus der Windenergie. „Die Wahl lässt das Schlimmste für die zukünftige EU-Energiepolitik befürchten“, sagte Münchmeyer.

Auch Gerd Rosenkranz, Politikchef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), äußerte sich enttäuscht über die Ernennung Oettingers: „Wir hätten uns einen zukunftsfähigeren Energiekommissar gewünscht als ihn“, sagte Rosenkranz der taz. „Ich glaube nicht, dass vom Atomkraftbefürworter Oettinger die dringend benötigten Impulse für eine veränderte Energiepolitik ausgehen werden“, sagte Rosenkranz.

Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sieht Oettingers Berufung „mit großen Bedenken“. „Oettinger steht für eine alte Energiepolitik“, sagte Fell der taz. Der CDU-Mann setzte sich für den Neubau von Atom- und Kohlekraftwerken ein, er vertrete immer wieder die Interessen der Energiekonzerne und äußere sich kritisch zur Förderung von erneuerbaren Energien. Nach eigener Aussage sieht Oettinger „zur Kernenergie derzeit keine Alternative“.

„Wenn man bedenkt, dass sich die EU-Kommission im vergangenen Jahr bemüht hatte, das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland zu Fall zu bringen, dann wird man dort über den Neuzugang Oettinger nicht traurig sein“, sagte Fell. „Der nötige Politikwandel wird mit Oettinger nicht stattfinden.“

Auch EU-Beobachter kommentieren den Wechsel des Schwaben nach Brüssel in der Europapolitik kritisch. Der Informationsdienst „EU Observer“ bescheinigt dem studierten Juristen „kein europäisches Profil“. Günther Oettinger spreche Englisch mit einem „starken schwäbischen Dialekt“, den selbst die Deutschen aus anderen Regionen kaum verstünden, schreibt der „EU Observer“.