Lieber ohne Bärenfell

KINO Albern und anspruchsvoll, formelhaft und originell, rau und zart: „Top Five“, die dritte Regiearbeit des Komikers Chris Rock, mischt mit Geschick Genres und Stile

„Top Five“ ist eine Feier afroamerikanischer Pop- und Alltagskultur

VON SVEN VON REDEN

„Ein Film ist manchmal einfach nur ein Film“, sagt zu Beginn von „Top Five“ ausgerechnet eine Journalistin. Die freie Mitarbeiterin der New York Times mit dem schönen Namen Chelsea Brown (Rosario Dawson) soll ein Porträt des Komikers und Schauspielers Andre Allen (Chris Rock) schreiben. Dafür begleitet sie ihn einen Tag lang durch New York, während er unter anderem wilde Theorien darüber entwickelt, warum der Filmstart von „Planet der Affen“ 1968 Schuld war am Tod von Martin Luther King.

„Top Five“ ist nicht einfach nur ein Film, sondern ziemlich viele: Die dritte Regiearbeit des Komikers Chris Rock kommt als wilder Mix teilweise konträrer Genres, Stile und Humorarten daher. Zum einen ist „Top Five“ eine Romantic Comedy – eigentlich das stromlinienförmigste aller gegenwärtigen Erfolgsgenres. Die Grundzüge der Geschichte sind bekannt: Boy meets girl. Hier: Star trifft Journalistin. Die Chemie stimmt. Es wird geflirtet. Doch dann werden Lügen aufgedeckt und Geheimnisse gelüftet. Und plötzlich scheint alles dahin. Kann es doch noch ein Happy End für die beiden geben?

„Top Five“ ist aber auch Showbiz-Satire. Andre Allen bewirbt gerade seinen aktuellen Film „Uprize“, ein Drama über die Sklavenrevolte auf Haiti im Jahr 1791. Eine Herzensangelegenheit, mit der er seine Vergangenheit hinter sich lassen will. Denn berühmt wurde er mit „Hammy the Bear I–III“. Ein Actionkomödien-Franchise, in dem er einen schießfreudigen Bär im Dienste der New Yorker Polizei spielt. „Uprize“ wird dagegen ein Flop, das lässt sich schon absehen. Allens Fans wollen ihn als Komödianten im Bärenfell sehen und nicht als blutrünstigen Revolutionär gegen die Unterdrückung der Schwarzen.

Dieser Strang der Geschichte erinnert verblüffend an den Oscar-Gewinner „Birdman“, in dem es ebenfalls um einen ehemaligen Blockbuster-Helden geht, der versucht, mit einem anspruchsvollen Projekt seinem Leben einen Sinn zu verleihen. Beide Filme ähneln sich bis in einzelne Szenen: etwa die für jeden Filmkritiker schmerzlich komische Darstellung von Round-Table-Interviews, bei denen bis zu einem Dutzend Journalisten unterschiedlichster Couleur zusammengepfercht werden, um gleichzeitig Fragen an Filmstars zu stellen. Beide Filme spielen zudem an einem einzigen Tag – „Top Five“ suggeriert allerdings nicht, er sei in nur einer Einstellung gedreht worden. Manuel Alberto Claro, der unter anderem bei den letzten beiden Filmen von Lars von Trier die Kamera geführt hat, verzichtet auf solche Showakrobatik.

„Top Five“ ist natürlich auch eine Komödie, die für den afroamerikanischen Markt gemacht wurde. Dafür steht Chris Rock, der schon in seinen Anfangstagen bei „Saturday Night Live“ immer wieder ziemlich gnadenlos die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß in den USA aufgespießt hat. Dazu bekommt er auch in „Top Five“ reichlich Gelegenheit, vor allem aber ist der Film, für den er auch das Drehbuch geschrieben hat, eine Feier afroamerikanischer Pop- und Alltagskultur. Der Titel des Films bezieht sich darauf, dass Allen immer wieder andere Schwarze, denen er begegnet, fragt, welche ihre liebsten fünf Rapper sind – eine Art Kurztest, ob jemand auf der gleichen Wellenlänge ist oder nicht. In einer der schönsten Sequenzen des Films besucht er mit der Reporterin die Sozialbausiedlung, in der er aufgewachsen ist. Die in lockerer, altmanesker Vielstimmigkeit gedrehte Szene vermittelt einen erstaunlich authentisch wirkenden Einblick in eine sehr lebendige Community – zumindest im amerikanischen Original.

Die derbsten Witze sind zwei Rückblicken vorbehalten, die sich um Sexerlebnisse mit ziemlich hohem Ekelfaktor drehen. Diese Sequenzen pflegen den für US-Mainstreamkomödien typischem Körperflüssigkeitenhumor. Sie stehen in auffälligem Kontrast zu „Arthouse“-Klassikern wie der „Sunrise“-Trilogie von Richard Linklater und natürlich Woody Allens „Stardust Memories“ – ebenfalls ein Film über einen Komiker/Filmemacher, dessen erster „ernster“ Film auf wenig Gegenliebe beim Publikum stößt.

Woody Allens Weg

„Top Five“ lässt sich auch als eine Liebeserklärung an New York verstehen, die Woody Allen nicht schöner in Bilder fassen könnte. Andre Allen – eine zufällige Namensgleichheit? – und Chelsea Brown durchqueren wie einst Woody Allen und Diane Keaton Manhattan vom Union Square ins East Village im Süden und von den Morningside Heights bis East Harlem im Norden, diskutierend und flirtend, scherzend und streitend.

Die Wechsel im Ton halten den Film lebendig: „Top Five“ ist zugleich albern und anspruchsvoll, formelhaft und originell, absurd und realitätsnah, rau und zart. Er erwischt einen immer wieder auf dem falschen Fuß – das ist seine große Qualität.

■  „Top Five“. Regie: Chris Rock. Mit Rosario Dawson, Chris Rock u. a. USA 2014, 102 Min.