Techno und Tarnfleck in Lübeck

GIPFEL Die Außenminister der G-7-Staaten diskutieren in der Hansestadt über den Ukraine-Konflikt. Gegner des Staatenbündnisses protestieren – und wollen das Treffen blockieren

„Herrn Lawrow gleich nach Lübeck mitzunehmen“

FRANK-WALTER STEINMEIERS WUNSCH

AUS LÜBECK ESTHER GEISSLINGER
UND CHRISTIAN JAKOB

„Ganz Lübeck hasst die Polizei“ steht auf dem Aufkleber, der an einem Laternenpfahl in der Fußgängerzone hängt. Zwei Beamte in blauen Uniformen schlendern vorbei, ohne ihn zu bemerken, ebenso wenig wie die Gesten der Jungs in militärischen Tarnfleckhosen hinter ihrem Rücken. Die Polizisten passieren Schaufenster, hinter denen an diesem Tag mehr gelangweilte Verkäuferinnen als KundInnen stehen: Nur wenige haben sich die Mühe gemacht, sich durch Kontrollen und Sperren hindurch in die Innenstadt zu begeben. Lübeck liegt zwei Tage lang im Schatten des G-7-Gipfels – seit Dienstagnachmittag treffen hier die Außenminister der großen westlichen Industrienationen und ihre Begleittrupps ein. Schon seit Montag herrscht Ausnahmezustand.

Da hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) durch seinen Sprecher ausrichten lassen, er sei „bestürzt“ weil ausgerechnet dann, wenn „die Welt auf Lübeck blickt, einer der großen Söhne der Stadt verstirbt“. Schon zu Lebzeiten war Günter Grass der Hausheilige der Hansestadt, von Bestürzung war dort am Montagabend aber nicht viel zu spüren. Mit einem Techno-Zug mühten sich die Gipfelgegner vielmehr um Partystimmung. „Feiern gegen die Traurigkeit des Kapitalismus“ war das Motto ihres Demo-Warm-ups. Aufgerufen hatten unter anderem Attac, die Linkspartei, die Grüne Jugend und die Interventionistische Linke. Wenn die Außenminister über Sicherheitspolitik, Weltwirtschaft, Klima oder Entwicklung sprechen, kämen nur „Neoliberalismus, Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung“ dabei heraus, hieß es in einer Erklärung der Gruppe. Ihre Berechtigung zur Entscheidung über globale Fragen zögen die G 7 „allein aus ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Vormachtstellung“.

Zum Zeitpunkt der Demo weilte ein Teil der Außenminister noch im Gästehaus des Auswärtigen Amtes in der Villa Borsig in Berlin-Tegel. Steinmeier hatte seine Kollegen aus Kiew, Moskau und Paris dorthin eingeladen, um die Umsetzung des Minsker Abkommens zur Ukrainekrise zu beraten. Der Russe Lawrow und der Ukrainer Klimkin sollen dabei aneinander geraten sein, am Ende immerhin forderten alle gemeinsam einen sofortigen Stopp der wiederaufgeflammten Kämpfe. Der Minister, so sagte sein Sprecher Schäfer, habe sich „gewünscht, eine politische Situation vorzufinden, in der es möglich gewesen wäre, Herrn Lawrow gleich nach Lübeck mitzunehmen“. Doch vor einem Jahr hatten die anderen Mitglieder des Staatenbunds Russland wegen der Krim-Annexion rausgeworfen.

So bleiben die G 7 und ihr Gast Federica Mogherini, die Hohe Beauftragte der Europäischen Union, in Lübeck unter sich. Neben der Ukrainekrise wollen sie auch über den Iran sprechen. Der US-Vertreter John Kerry soll dazu von der Atomkonferenz in Lausanne berichten. Weiterhin wollen sich die Außenminister mit dem Kampf gegen Isis sowie den Krisen in Jemen und Libyen befassen. Steinmeier hat auch die Ebola-Epidemie auf die Tagesordnung gesetzt.

Nach den Blockupy-Krawallen Mitte März hatten Polizei und Innenpolitiker auch in Lübeck Gewalt prophezeit, der Polizeieinsatz ist der größte in der Geschichte der Hansestadt. „Wir haben gezeigt, wie wir uns die Proteste hier vorstellen“, sagte Christoph Kleine vom Bündnis Stop G 7 nach dem friedlichen Demo-Auftakt am Montag. Für Dienstagnachmittag war die Hauptdemo angekündigt, mehrere tausend Menschen wurden erwartet. Sie wollen das Treffen der Außenminister blockieren.

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