OOOOH und AAAAH

KUNST Der Tel Aviver Künstler Erez Israeli und der Berliner Norbert Bisky haben ihre Ateliers getauscht. Die Ergebnisse sind in der Galerie Crone und bei Bötzow Berlin zu sehen

VON STEFAN HOCHGESAND

Erez Israeli sagt, er war in allen Darkrooms der Stadt – dabei wohnt der Künstler aus Israel erst seit Januar in Berlin. Wirklich in allen? „Wollen Sie eine Liste?“, kokettiert der 40-Jährige, der drei Monate lang mit dem Berliner Maler Norbert Bisky sein Atelier tauschte: 80 qm in Tel Aviv gegen 400 qm in Friedrichshain. Ein fairer Tausch? Aber ja doch, muss man sagen, wenn man die Ergebnisse sieht, die jetzt in der Galerie Crone (Israeli) und auf dem Areal der alten Bötzow-Brauerei (Bisky) zu sehen sind: Norbert Bisky musste zwar aus Platzgründen im Atelier in Tel Aviv zwei seiner neuen Ölbilder auf je sechs einzelne Leinwände malen – dafür ist er politischer denn je.

Erez Israeli wiederum hat auch vor den düstersten Orten und Zeiten Berlins keinen Halt gemacht: Für ihn stehen Darkrooms als Orte (sexueller) Freiheit geradezu metaphorisch für Berlin: „Ich mag die Idee, nicht kontrolliert zu werden“, sagt er im Gespräch. Die Tusche-auf-Holz-Serie „Rooms“ zeigt im Comic-Stil nahezu monochrom anthrazit Männer, die sich Blowjobs geben. Jeden Sonntagmorgen ging Israeli ins Berghain tanzen. Mittags ließ er sich die Motive der Einlassstempel als Tattoos auf die Unterarme stechen. In der Schau „The Difference Between OOOOH and AAAAH“ in der Galerie Crone sehen wir davon jetzt zehn Vorher-nachher-C-Prints. Zudem hatte der Israeli als erster Künstler die Erlaubnis, im Berghain zu filmen, und zwei solche Videos sind Teil der Arbeit „Stempelwald“, die auf vier Monitoren neben den Fotografien zu sehen ist. Die beiden anderen Videokanäle dokumentieren den Tattoo-Prozess.

„Im Mittelalter tätowierte man Männer, die auf Männer standen“, erzählt Israeli. Brandmarken also. Um Stigmatisierte geht es auch in Israelis bühnenbildartigem „Narrenschiff“, das unerwünschte Männer verschifft, die derweil noch eine Fete steigen lassen. Eine Referenz auf Albrecht Dürers gleichnamigen Holzschnitt von 1494. „T4“ steht auf dem Schiff – das Kürzel für das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten. Das Lachen kann einem bei Israelis Arbeiten oft im Halse stecken bleiben. Für die Serie „Jokes“ hat Israeli bitterböse Witze gesammelt wie: „Welches war das beste KZ? Auschwitz – über eine Million Sterne!“

Israeli provoziert mit seiner Art, Geschichte und jüdische Identität auszuloten. Und mit seiner expliziten Ästhetik von schwulem Sex. Dass sich die ganze israelische Kunst- und Kulturszene in Tel Aviv abspiele, hängt für ihn mit der Schwulenszene zusammen. „Die Leute beten zu viel in Jerusalem“, sagt er. „In den Achtzigern war Jerusalem das Avantgarde-Zentrum. Dort sieht man heute schwarz. In Tel Aviv gibt es ganz viele Farben.“

Diese Farben wiederum dürften auch Norbert Bisky gefallen haben, der seit Jahren wieder heller malt. Am liebsten wollte Bisky gar nicht mehr zurück nach Berlin. Was er aus Tel Aviv mitnimmt? „Den Kopf voller Eindrücke, über dreitausend Fotos, kostbare neue Freundschaften“, sagt er der taz.

Eigentlich wollte Bisky diesmal abstrakt arbeiten. Der Plan ging nicht auf in Tel Aviv. Es brannten sich Motive in sein Gedächtnis, die er figural verarbeiten musste. Seine Schau heißt „Balagan“, was „Durcheinander“ bedeutet, auch im Sinne einer ausgeflippten Party. „Die Öl-auf-Papier-Arbeiten sind teilweise Vorarbeiten, teilweise aber auch parallel zu den großen Leinwänden entstanden“, sagt Bisky. So findet sich der steineschmeißende Palästinenserjunge sowohl klein auf Papier in „Weeping Song“ als auch im raumfüllenden Gemälde „Derech“ („Weg“). Ebenso die in Tel Aviv omnipräsenten Fledermäuse. Wir sehen Bisky-prototypische Gays am Strand – aber eben auch ultraorthodoxe Juden. Im zentrifugal komponierten „Rehov“ („Straße“) kann man den vom IS verbrannten jordanischen Soldaten aus dem Februar 2015 erkennen – der Zeit, als Bisky im Nahen Osten weilte.

Absperrungen aus Tel Aviv, die von der Polizei aufgestellt werden, um Menschenmengen zu lenken, begegnen einem schon vor dem Eingang: Hinter den Zäunen ist das ausgebrannte Skelett eines Busses schrägwinklig in den Boden gerammt, es ragt nur noch zur Hälfte heraus. Terror-Tatort. „Einige der dargestellten Motive und Themen werden mich auch weiterhin beschäftigen“, sagt Bisky. Israeli geht es nicht anders. Im Juni kommt er wieder nach Berlin, diesmal für länger. Die Darkrooms kennt er ja schon alle, aber auf seinem Körper bleibt noch Platz für Tattoos.

■ Bis 25. April, Rudi-Dutschke-Str. 26, Di.–Sa. 11–18 Uhr und bis zum 30. August, Bötzow Berlin, Prenzlauer Allee 242, Do.–Sa. 15–20 Uhr, So. 14–18 Uhr