Kuba, öffne dich

WENDE Am Wochenende treffen sich Barack Obama und Raúl Castro auf dem Amerikagipfel. Die Insel des Sozialismus und die kapitalistische Weltmacht nähern sich an. In Havanna bereiten sich ein Parteisekretär, ein Start-up-Gründer und eine Bloggerin auf das vor, was da kommen mag

■ Sozialistische Zustimmung: Die Annäherung an die USA wird in Kuba äußerst positiv aufgenommen. Fast alle Kubaner, nämlich 97 Prozent, sind der Ansicht, dass der Prozess gut für ihr Land sei. Das geht aus einer Meinungsumfrage im Auftrag von US-Medien hervor, die diese Woche veröffentlicht wurde. US-Präsident Obama ist demnach in Kuba beliebter als die Castro-Brüder. 80 Prozent haben von ihm eine positive Meinung, Raúl kommt auf 47, Fidel auf 44 Prozent. In der zweiten Märzhälfte wurden 1.200 zufällig ausgewählte Kubaner persönlich befragt.

■ Kapitalistische Entdeckung: Für US-Touristen ist es nun leichter, nach Kuba zu reisen. Vor den Massen wagen sich Stars der Unterhaltungsindustrie auf die einst verbotene Insel. Was etwa der „Late Night“-Moderator Conan O’Brien dort erlebte: taz.de/usakuba.

AUS HAVANNA SEBASTIAN ERB (TEXT UND FOTOS)

Ángel Bueno zweifelt nach wie vor nicht daran, dass die USA die Revolution zerstören wollen. Und doch, wenn der ehrenamtliche Parteisekretär des Bezirks 86 von Havanna über den kapitalistischen Erzfeind spricht, klingt das heute anders, versöhnlicher.

„Wer unterschiedliche Ideologien hat“, sagt Ángel Bueno, „sucht gemeinsame Standpunkte, um Kontakt aufnehmen zu können.“ Es sei wichtig, „dass wir uns verstehen“.

Er meint tatsächlich die Vereinigten Staaten von Amerika.

Klein und kräftig ist Bueno, Glatze, vernarbtes Gesicht. Ein Mann, der zupackt. Er redet so laut und betont, als wolle er den ganzen Platz der Revolution beschallen. Ángel Bueno ist 65 Jahre alt, er wohnt in einem zartrosa gestrichenen Haus in Marianao am Stadtrand der kubanischen Hauptstadt. Ein einfaches Viertel, die Straßen sind staubig. Im Wohnzimmer ein Aquarium, an der Wand ein Foto von Fidel und Raúl Castro, am Tisch sitzt seine Nichte und blättert in der Granma, dem offiziellen Organ der Kommunistischen Partei.

Bueno verteidigt sich, auch wenn ihn niemand angreift. Natürlich könne es Demokratie geben mit nur einer Partei. Und Meinungsfreiheit. „In der Partei äußern wir unsere Meinung frei.“ Ángel Bueno sagt öfter „Partei“ als „ich“. Und dann kommen irgendwann diese Sätze, die man nicht vermutet hätte: „Es ist wichtig, dass wir uns verstehen.“

„Cuba baby!“, postet Paris Hilton, Vorhut des Kapitals

Es ist das 57. Jahr der Revolution, und in Kuba hat sich weniger getan als in der Welt da draußen. Viele Autos sind noch US-Straßenkreuzer aus den 50ern, mit fetten Kühlergrills. Lange kamen gar keine Neuwagen ins Land. Neue Häuser wurden kaum gebaut, bei vielen bröckelt der Putz, die Decken müssen gestützt werden. Politisch blieben drei Dinge immer gleich: Die Castros waren an der Macht. Kuba unterhielt keine offiziellen Beziehungen zu den USA. Und die inoffiziellen waren miserabel.

Die Castros sind immer noch an der Macht. Der Rest aber ändert sich gerade grundlegend. An diesem Wochenende werden sich US-Präsident Barack Obama und Kubas Machthaber Raúl Castro treffen, in aller Freundschaft, auf dem Amerikagipfel in Panama, an dem die USA und Kuba zum ersten Mal gleichzeitig teilnehmen. Am Donnerstag empfahl das US-Außenministerium, Kuba von der Liste der Terror-Unterstützer zu streichen.

Schon am 17. Dezember hat ein Prozess begonnen, der sich „Normalisierung der Beziehungen“ nennt. Obama und Castro verkündeten das gleichzeitig in Fernsehansprachen. Gefangene wurden ausgetauscht, Agenten, Entwicklungshelfer. Drei Verhandlungsrunden gab es inzwischen auf Regierungsebene, eine in Washington, zwei in Havanna.

Gerade mal 200 Meilen sind es von Havanna nach Miami. Und doch schien die Distanz fast unüberbrückbar. Besetzungen, Putschversuche und der Kalte Krieg hatten das Klima vergiftet.

Nach der Revolution junger Intellektueller, die als Guerilleros den Diktator Batista stürzten, wurde Moskau der wichtigste Verbündete gegen den US-Imperialismus. Die Sowjetunion verging, Kuba blieb. Eine Ausnahme der Weltgeschichte.

Jetzt sprechen die Menschen in den Straßen Havannas wieder über Politik. Im Dezember feierten viele die Annäherung. Eine Frau warf in einem Friseursalon Obama auf dem Fernsehschirm Küsse zu, einer jubelte: „Das ist ist unsere Berliner Mauer!“ So kann man das in einem Blog nachlesen. Manche sorgen sich aber auch, dass sie überrannt werden. Kuba, öffne dich. Und dann?

Als eine der Ersten kam Paris Hilton. Auf Instagram teilte sie die Eindrücke ihrer Havanna-Reise Ende Februar mit ihren mehr als 4 Millionen Abonnenten. „Cuba baby!“, „ich liebe all die 50er-Jahre-Autos.“ Im weißen Kleid posiert sie vor dem Hotel Habana Libre, sie nennt es „Habana Hilton Hotel“, ihr Urgroßvater hat es 1958 eröffnet. 1960 wurde es verstaatlicht und umbenannt. Hilton machte nun ein Partyselfie mit Fidel Castro Díaz-Balart, dem ältesten Sohn Fidel Castros.

Eine Delegation der US-Agrarwirtschaft war da, Abgeordnete und Lobbyisten aus Kalifornien, die Basketballliga NBA will jemanden schicken.

Auch in Kuba machen Menschen Pläne für die Zeit, in der alles anders wird. Bernardo Romero etwa, der katholische Start-up-Gründer, der darauf hinarbeitet, den kubanischen Markt zu erschließen. Die Bloggerin Regina Coyula mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Rafael Alcides, dessen Bücher in Kuba auf dem Index stehen. Und Ángel Bueno.

„Wenn ich ehrlich bin“, sagt er, „hätte ich nicht gedacht, dass ich all das noch erleben werde.“ Er war Oberstleutnant bei der Luftwaffe, nach seiner Armeelaufbahn hat er sich selbstständig gemacht, wie das damals eben möglich war. Heute vermietet er zwei Zimmer. Klimaanlage, Farbfernseher, bequemes Bett, so preist er sie an. Drei Stunden kosten 4,50 Euro, die ganze Nacht etwas mehr. Seine Gäste: junge Paare auf der Suche nach ein bisschen Privatsphäre.

Bueno ist außerdem Vertreter eines privaten venezolanischen Paketdienstes. Die Pakete holt er am Flughafen ab, um sie auszufahren oder weiterzuleiten. Der Service sei besser als bei der staatlichen Post, sagt Ángel Bueno, effizienter. Die kubanischen Ärzte in Venezuela könnten so schneller etwas an ihre Familien schicken. Ein Parteisekretär, der als Privatunternehmer die staatliche Post rechts überholt.

Das sozialistische Modell bekommt ein Update, so sieht es Ángel Bueno.

Noch fliegen keine US-Pauschaltouristen herüber, um Starbucks-Kaffee am Malecón zu trinken, der bekannten Uferpromenade. Vieles wird dauern. Die Aufhebung des Wirtschaftsembargos etwa müsste der US-Kongress beschließen. Bisher haben es die USA noch nicht mal geschafft, ihre Interessenvertretung wie geplant in eine Botschaft umzuwandeln.

Bernardo Romero legt trotzdem los. Mit Politik konnte er ohnehin noch nie viel anfangen. Er orientiert sich am Markt. Romero, 31, ein schlaksiger und schüchterner Mann in Poloshirt und Nike-Turnschuhen, ist im kommunistischen Kuba eine Ausnahme. Er ist Unternehmer.

Mit einer Plastiktüte in der Hand und zwei Computertastaturen unterm Arm schlurft er in seinen Laden in einem Villenviertel im Westen von Havanna. Er liegt in einer ruhigen Seitenstraße, der Rasen kurz geschoren. Kein Ort für Laufkundschaft, aber die Leute finden ihn schon.

Der einzige Raum ist winzig, die Wand im Blau des Firmenlogos gestrichen. Eine junge Frau am Tresen spricht mit einem Kunden und klickt dabei auf einem Laptop herum, daneben stapeln sich acht Festplatten, ein Kollege schraubt eine Platine aus einem PC. Kabel überall. Die Firma heißt Ingenius und bietet „informationstechnische Lösungen“ an. Das ist in Kuba eine enorme Herausforderung.

„Der Markt hier ist sehr interessant“, sagt Bernardo Romero nüchtern.

Einer entwirft Webseiten –bisher ohne Internet

Computerreparaturen lohnen sich, weil die Arbeitszeit billig ist, vor allem viel billiger als ein neues Gerät. Die sind schwer zu bekommen, wie die Ersatzteile. Deshalb wird geschraubt und gelötet, so lange es geht. Bernardo Romero setzt große Hoffnung in den Öffnungsprozess. In einem Jahr, damit rechnet er fest, kann er bei Amazon Ersatzteile und Spezialwerkzeuge bestellen. Bislang ist Kuba auf der Weltkarte des Onlinehandels ein weißer Fleck. Rund die Hälfte seiner Kunden sind Privatleute, die irgendwo einen Computer organisiert haben. Ansonsten bringt er, der Privatunternehmer, die Rechner des Staats wieder zum Laufen.

Dieser Staat muss zu viele Arbeitnehmer bezahlen. Deshalb beschloss Raúl Castro, 83, der von seinem Bruder Fidel 2006 die Macht übernahm, dass künftig mindestens 1,5 von 5 Millionen Kubanern ihr Auskommen selbstständig verdienen sollten.

Seit 2010 stehen rund 200 Berufe auf der Liste mit den genehmigten selbstständigen Tätigkeiten. Die „Cuentapropistas“ – wie auch Ángel Bueno einer ist –, die auf eigene Rechnung arbeiten, haben das Land verändert.

Uhrmacher arbeiten selbstständig, Friseure und Taxifahrer. In Havanna verkaufen sie nun aus den Fenstern Kaffee aus der Thermoskanne für einen Peso, ein Glas eisgekühlten Guavensaft für drei, eine labbrige Minipizza für fünf, umgerechnet alles nur ein paar Cent. Einer der Verkäufer trägt ein gelbes T-Shirt, auf dem Fidel Castro mit dem Gesicht eines Affen abgebildet ist. Auf Portugiesisch steht da: „Viva a evolucão“. Es lebe die Evolution.

Die Lizenz für ein Privatunternehmen erhält man fast nur für nichtakademische Berufe. Deswegen arbeiten viele Ärzte oder Anwältinnen nicht in ihrem eigentlichen Beruf, wo sie vielleicht 20 oder 25 Dollar im Monat bekämen, sondern als Barmann, Taxifahrer oder Reiseleiterin. Und verdienen dieses Geld mitunter an einem Tag.

In dem Kuba, in dem die Revolution alle gleichmachen sollte, wirkt die Gesellschaft ungleicher denn je. Wie wird sich das ändern, wenn erst einmal Paris Hiltons Nachhut anrückt?

Das sozialistische Modell bekommt ein Update, so sieht es Ángel Bueno

Bernardo Romero hat bei einer Staatsfirma gearbeitet und dann ein MBA-Programm absolviert, das von einer spanischen Universität zusammen mit der katholischen Kirche angeboten wurde. Als Masterarbeit schrieb er seinen Businessplan.

Bei Verwandten und Freunden sammelte er 2.000 Dollar, er baute eine Garage in den Werkstattladen um und legte im November 2012 los. Heute hat er fünf Angestellte.

Bernardo Romero quetscht sich in seinen blauen Polski Fiat 126p, der älter ist als er selbst. Bis zur Kirche Santa Rita sind es nur ein paar Minuten, Ecke 5. Avenida, 26. Straße, sie steht neben einem Park mit Bäumen wie aus einem Märchenwald. Es ist die Gemeinde, in der eine der bekanntesten Oppositionsgruppen ihren Protest inszeniert. Seit zwölf Jahren laufen die Damas de Blanco jeden Sonntag nach der Messe von der Kirche den mit Rasen der vierspurigen Straße entlang. Die in Weiß gekleidete Frauen wollen auf ihre Verwandten aufmerksam machen, politische Gefangene.

Bernardo Romero geht sonntags mit Frau und Kind in den Gottesdienst. Die Kirche hat ihm die Welt geöffnet. 2005 war er auf dem Weltjugendtag in Köln. „Ich habe dort eine andere Wirklichkeit gesehen“, sagt er. Es war das einzige Mal, dass er sein Land verlassen konnte. „Für die einen ist Kuba die Hölle, wo jeden Tag viele Menschen sterben, für die anderen das absolutes Paradies, wo es für alles eine Lösung gibt“, sagt Romero. „Es ist weder das eine noch das andere.“

In der Kirche können sie zwei Räume nutzen. Ein paar Computer stehen im einen, ein Dutzend Stühle im anderen. Sie programmieren Webseiten, entwickeln Software, und sie unterrichten Leute, die womöglich später für die Firma arbeiten. An diesem Freitagnachmittag sitzt ein Kollege hier, der eine Webseite fertig programmieren muss. Er macht das offline, ohne Internet. „Das ist schon ein bisschen Science Fiction“, sagt Romero. Internetseiten ohne Internet, auch dafür gibt es einen Markt.

Kaum jemand hat auf Kuba zu Hause einen Onlinezugang. In den staatlichen Internetcafés kostet eine Stunde 4,50 US-Dollar. Als Bernardo Romero noch beim Staat arbeitete, war das sein Wochenlohn. Bisher hat er vor allem nationale Kunden aus der Tourismusbranche. Aber er verhandelt gerade auch mit einer US-Agentur. Die niedrigen Lohnkosten sind ein Standortvorteil.

Die Kubaner sollen einen besseren Onlinezugang bekommen, auch das steht in der Vereinbarung aus dem Dezember. Über jedes Kilobit der Veränderung wird nun ausführlich berichtet. Direkte Telefonate zwischen den USA und Kuba sind möglich. Die Online-Videothek Netflix ist mittlerweile verfügbar. Theoretisch zumindest.

Der einzige öffentliche WLAN-Hotspot auf ganz Kuba liegt im äußersten Westen von Havanna, nicht gerade das beste Viertel. Die Mauer darum herum ist hoch, aber die Tür ist immer geöffnet, auch nachts. Hier ist das Kulturzentrum des Künstlers Kcho. Er stellt sein privates WLAN allen zur Verfügung, kostenlos. Zwei Megabit pro Sekunde für das Volk. Im Innenhof ein Segeltuchdach, Palmen, Stühle und Bänke. Das Smartphone in der Hand, den Laptop auf dem Schoß, sitzen hier viele Junge und ein paar Alte. Die meisten chatten mit Verwandten im Ausland.

Kcho ist Mitglied des Nationalparlaments, als er Anfang 2014 seine Galerie eröffnete, kam sein Freund Fidel Castro. Der Zugang zum Internet, das ist für ihn ein Teil der Revolution.

Auch Ángel Bueno, der Parteisekretär, denkt, die Kubaner seien fürs Internet bereit. Er selbst hat eine neue Geschäftsidee. Bei ihm könnten ja auch Touristen aus den USA wohnen: „Wenn sie mit Respekt kommen, können wir uns gut unterhalten.“

Vom zweiten Stock schaut er auf die Straße. Er entschuldigt sich kurz, nimmt eine tragbare Festplatte und läuft die Treppe hinunter. Die Festplatte überreicht er einem jungen Mann. Der wird ihm das „paquete“ darauf kopieren, das ist eine riesige Sammlung von Filmen, TV-Shows und Telenovelas, die einmal die Woche ins Land kommt, eine Art Offline-Netflix für 2 Dollar. Eine gute Ergänzung zum staatlichen Fernsehen, sagt Ángel Bueno.

„Die Revolution ist unbesiegbar“ steht an vielen Läden und Mauern in der Stadt, Che Guevara schaut einen an so vielen Orten an, dass man fast denkt, er sei noch am Leben.

Viva la Evolución! Die Revolution wird abgelöst

Wer kann, trägt trotzdem Markenklamotten, und es gibt inzwischen wohl mehr Läden, in denen man Apps auf sein iPhone laden kann als Verkaufsstellen der Parteizeitung Granma.

Der Mythos der Revolution, er scheint von einer Evolution abgelöst worden zu sein, die Kuba in ein anderes Land verwandelt.

Regina Coyula geht das alles zu langsam, und wenn etwas zu langsam geht, dann wird sie auch mal grantig. Sie ist die Forsche in ihrer Beziehung, ihr Mann muss sie manchmal bremsen. Bei ihr zu Hause in Nuevo Vedado steht die Vorgartentüre offen, Grünpflanzen, Gartenstühle, im Nachbarhaus das lokale Komitee zur Verteidigung der Revolution. Drinnen liegt auf dem Beistelltisch eine Ausgabe des US-Digitalmagazins Wired aus dem November 2011.

Regina Coyula ist 58 Jahre alt, sie lacht viel, und sie ist glücklich, dass sie vor ein paar Jahren eine neue Bestimmung gefunden hat. Der Regierung gefällt das nicht.

Coyula, deren Vater schon in der Kommunistischen Partei war, arbeitete bei der Staatssicherheit, Spionageabwehr, 18 Jahre lang. Schon 1979 bekam sie bei einer Reise durch die DDR und Osteuropa erste Zweifel. Als nach dem Mauerfall auch noch ihr Ministerium von angeblichen Verrätern gesäubert wurde, bat sie um ihre Entlassung. Sie zog sich zurück, wurde Hausfrau, lektorierte Bücher für ihren Mann. 2009 entdeckte sie das Internet. Es war ihre erste Auslandsreise seit 1979, sie begleitete Rafael Alcides nach Spanien.

Weil sie nicht genau wusste, was sie online anschauen sollte, klickte sie bei YouTube auf ein Video, von dem ihr Freunde erzählt hatten: Ein betrunkener Kubaner, der sagt, dass es an Essen mangle. Pánfilo heißt der Mann. Regina Coyula muss lachen. Pánfilo wurde zum kleinen Star und zum Gesicht einer Onlinekampagne, die sich „Jama y Libertad“ nannte, Essen und Freiheit.

Coyula beschloss, selbst zu bloggen. Für die Freiheit.

Die kubanische Wirtschaft wird von der Öffnung profitieren, das glaubt Coyula. „Aber die Kapitalisten sind pragmatisch. Ihnen ist es egal, ob die Regierung demokratisch ist oder nicht.“

Der Parteisekretär überholt die staatliche Post rechts – als verkappter Unternehmer

Coyulas Mann, Rafael Alcides Pérez, geboren am 9. Juni 1933, ist ein „kubanischer Schriftsteller, der durch den Triumph der kubanischen Revolution bekannt wurde“, so steht es bei EcuRed, der kubanischen Wikipedia. In dem Eintrag endet seine Bibliografie im Jahr 1993. „Ich existiere nicht mehr“, sagt er.

Zumindest nicht in Kuba. Seit Mitte der 90er Jahre veröffentlicht er in Spanien. Als seine Frau im Sommer 2014 einige seiner Bücher aus Peru mitbringen wollte, wurden sie ihr bei der Einreise abgenommen. Eines trägt den Titel „Ein Märchen, das schlecht endet“.

Rafael Alcides, dessen weißer Bart sauber gestutzt ist, trägt kurze Hosen und ein orangefarbenes T-Shirt. Er scheucht den Hund weg, setzt sich auf den Sessel im Wohnzimmer, durch das Rollo fallen Sonnenstrahlen.

Alcides sieht kaum noch, er hört schlecht, aber seine Sätze könnte man sofort drucken und binden. „Ich habe keine Schmerzen“, sagt er, „mir geht es gut.“

Sie hatten so viele Ideen, die Vision einer besseren Gesellschaft, „wir wollten den Himmel berühren“. Ab 1959 arbeitete er im Außenministerium, war Pressesprecher, dann Journalist, Radio und Fernsehen, er interviewte Staatsgäste wie den chilenischen Präsidenten Salvador Allende.

Der Dichter lebt auf seiner kleinen privaten Insel

„Der Sozialismus ist gescheitert“, sagt Rafael Alcides. Alles sei so teuer heute. Zehn Dollar Rente bekommt er im Monat. „Das reicht nicht mal, um das Brot zu bezahlen.“ Er verdient sich etwas mit Artikeln für spanische oder US-Zeitschriften hinzu.

Nachdem seine Bücher nicht mehr ins Land dürfen, ist er aus der Schriftstellervereinigung ausgetreten und hat die Medaille zurückgegeben, die er als Gründungsmitglied zum 50. Jubiläum bekommen hat. Da sonst niemand da war, hat er sie dem Pförtner überreicht.

Rafael Alcides schreibt jeden Tag ab neun Uhr, acht bis zehn Stunden. Das Haus verlässt er fast nur zum Einkaufen, keine 1.000 Meter ist der Korridor lang, in dem er sich seit 25 Jahren bewegt. Der Lebensmittelladen, die Bäckerei, zwei Gemüseläden. Kollegen trifft er höchstens zufällig. Er hat sich auf seine kleine private Insel zurückgezogen.

Fast zwei Reihen Papier stehen in seinem Holzschrank, maschinengeschrieben, Arbeit von Jahrzehnten. Seine unveröffentlichten Manuskripte. Zumindest einige Romane will er noch in Kuba publizieren. Ob er das schaffe, hänge davon ab, wer von ihnen länger lebe. Fidel und Raúl Castro. Oder er.

Seine Frau kommt nach Hause, ganz hibbelig stößt sie die Glastüre auf. Nachbarn hätten sie gefragt, erzählt sie, ob sie nicht für die Poder Popular in ihrem Viertel kandidieren wolle, die Volksvertretung. Jetzt, da die Zeiten sich änderten, würden sie sie auch wählen.

■ Sebastian Erb, 30, ist Redakteur der taz.am wochenende. Er recherchierte zwei Wochen in Kuba