Blühende Medina

In Marrakesch werden traditionelle Häuser der Altstadt zu Hotels. Marokkanische Handwerker entdecken dadurch alte Traditionen wieder

VON CAROLINE DU BLED

Riads sind en vogue. Die uralten Häuser in der Altstadt von Marrakesch ohne Strom und Badezimmer schrecken zwar marokkanische Familien ab, europäische Investoren hingegen machen daraus Villen, die sie für wenig Geld erstehen und als Paradiese wieder verkaufen. Riad bezeichnet eigentlich einen arabischen Garten: einen Innenhof von hundert bis dreitausend Quadratmetern, an jeder Ecke eine Grünfläche mit mindestens einem Baum, meist ein Orangenbaum in der Mitte, eine Fontäne oder ein Wasserbecken, im ersten Stock eine Galerie und eine Dachterrasse. Fehlt eine dieser Bedingungen, sprechen die Marokkaner von Dar, arabisch für Haus. Die meisten Häuser in der Medina von Marrakesch sind zu klein, um genügend Platz für die kleinen Gärten zu bieten. Dennoch wird kaum auf sie verzichtet. Denn die Gärten und Brunnen sind Symbole des Paradieses in der muslimischen Kultur.

Mit der Wiederentdeckung der alten Herrenhäuser vor knapp zehn Jahren begann der Belgier Quentin Wilbaux. Er kaufte als Erster zerfallene Riads, um daraus Gästehäuser zu bauen. Bis dahin logierten nur wenige extravagante Franzosen, wie der Modedesigner Yves Saint Laurent, der Schauspieler Alain Delon oder der Philosoph Bernard Henry Lévy innerhalb der Mauern der Stadt. Kein Investor interessierte sich für Marrakesch und ihre zerfallene Medina. Noch waren die Riads spottbillig zu haben. Doch von elitärer Exotik zum großen Erfolg auf dem breiten Markt war es nur ein kleiner Schritt – spätestens als das französische Fernsehen die versteckten Paradiese zeigte.

Serge Meadow, Leiter der Agentur Riad au Maroc, erinnert sich: „Als 1999 die Sendung ‚Capital‘ einen Bericht über Marrakesch zeigte, wurde darin behauptet, dass man sich für 100.000 oder 200.000 Francs ein Palais in der Stadt kaufen könne. In der darauffolgenden Woche landeten Flugzeuge voll von potenziellen Käufern. Ich glaube, da hat diese Bewegung im großen Stil angefangen.“ Nach der Unterzeichnung des Vertrags und vor Genuss des Stücks Paradies sind lange und kostspielige Bauarbeiten notwendig. Die ein- bis dreijährige Bauzeit verdoppelt oder verdreifacht den Kaufpreis. Meist werden die original aus Lehm gebauten Wände niedergerissen und durch Beton ersetzt.

Um in dem Labyrinth enger Gassen, in denen nur Platz für einen einzigen Karren ist, die Umbauten durchführen zu können, werden alte Techniken genutzt. „Ich war verblüfft“, sagt Frau Zonca, Inhaberin des luxuriösen Riad Monika, „über die dutzenden Esel, die die Trümmer aus dem Haus transportierten.“ Mit keinen noch so großen finanziellen Mittel wird man je die Gässchen der Medina verbreitern können.

Sobald die Wände saniert sind, wird für die Innenarchitektur traditionelles Handwerk benötigt: Tadelakt, Stuck, Zellige. Know-how, das in Vergessenheit geriet, seitdem die einstigen Handwerker wegen der großen Nachfrage nach neuen Häusern Bauarbeiter geworden sind. Der Architekturnarr Abdellatif Ait Ben Abdallah zieht seit zwanzig Jahren durch die Medina. Er hat mehr als sechstausend Häuser besichtigt und fotografiert und war bei etwa dreißig Renovierungen nach traditionellem Bauhandwerk beteiligt. „Am Anfang habe ich die ganze Stadt durchsucht, um jemanden zu finden, der noch Tadelakt machen konnte. Nach ein paar Wochen habe ich einen siebzigjährigen Handwerkermeister aufgestöbert, der die Technik noch beherrscht.“ In den letzten Jahren wurden dem Nachwuchs die alten Handwerkstechniken mit Tadelakt, Zellige, Stuck, Holz und Eisen in der Werkstatt des alten Handwerkermeisters beigebracht. Das traditionelle Wissen ist vorläufig gerettet.

Gäbe es nicht das neue Interesse an renovierten Riads, wären die alten Techniken längst verschwunden. Ein Beispiel ist der Umgang mit Tadelakt. Der Kalk wird zuerst gesiebt und mit natürlichen Pigmenten gemischt. Nach einer Woche trägt der Handwerker den Kalkanstrich auf die Wände oder den Boden auf. Ist er getrocknet, durchtränkt er die Fläche mit schwarzer Seife und reibt sie mehrere Tage ein bis diese ganz aufgesogen ist. Das Geheimnis für eine schlagfeste und wasserdichte Fläche liegt in der Geduld und der Handfertigkeit des Arbeiters: Für einen zwölf Quadratmeter großen Raum brauchen zwei Arbeiter bis zu drei Wochen. Zellige sind aus Fez importierte bunte Fliesen, zerteilt in sehr kleine Drei- und Vierecke. Sie werden zu komplexen geometrischen Bildern zusammengefügt. Um alte Motive zu rekonstruieren, legt man Packpapier auf die alten Zellige und reibt sie dann mit frischer Minze ein: Das Motiv erscheint wieder wie frisch aufgedruckt.

Zehn Stunden Arbeit am Tag an sechs Tagen die Woche – für hundertsechzig Euro monatlich ist das traditionelle Handwerk alles andere als lukrativ. Doch die Arbeit ist gesichert, und alle Werkstätten in der Medina sind inzwischen wieder besetzt. Während manche Europäer um die Authentizität der Innenarchitektur besorgt sind, überladen andere das Innere der Häuser mit Dekorationen: Stuck, Holz und Zellige vermischen sich in geschmackloser Weise, und die Perfektion der ursprünglichen Architektur geht verloren. „Teppiche, Kissen, ab und zu eine Truhe. Mehr nicht“, beschreibt Abdellatif die traditionelle Einrichtung. Seine Dar Charifa aus dem 16. Jahrhundert ist ein Vorbild für Schlichtheit und erfolgreiche Renovierung. Was hinter den hohen Mauern passiert, bleibt verdeckt. Harmlos, wenn es nur um die Geschmacklosigkeit einiger Emporkömmlinge geht. Aber die Altstadt, die 1985 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde, ist so fragil wie ein Kartenhaus: Ein abgerissenes Haus gefährdet den gesamten Stadtteil.

Unkoordinierte und zu schnelle Wiederaufbauten von Riads haben zu einem absurden Resultat geführt: „Wenn man die Medina von oben betrachtet, ist sie ein Meer aus Beton“, bedauert Serge Meadow. Neunzig Prozent der Gästehäuser sind in europäischem Besitz, die Zimmer werden für bis zu dreihundert Euro pro Nacht vermietet. Dennoch hat der blühende Wirtschaftszweig, der eine Explosion des Handwerks mit sich brachte, Grenzen. Egal wie begehrt die Häuser sind, auf lange Sicht wird der Markt gesättigt sein. In ein paar Jahren könnte der Kauf eines Riads die finanziellen Erwartungen der Investoren nicht mehr erfüllen. Was wird dann aus den wiedererweckten Handwerkerberufen?

CAROLINE DU BLED ist Reisejournalistin und lebt in Berlin und Paris Die Agentur Riad au Maroc vermietet Zimmer in den schönsten Häusern in Marrakesch ab 45 Euro pro Nacht mit Frühstück. Das schönste ist das Riad Leila, www.riadomaroc.com, das allerdings kostet um die 125 Euro pro Nacht