Das Weltmännle ist wieder da

Der FC Bayern München sucht nach einer Herausforderung. Der Klub glaubt, sie in Jürgen Klinsmann gefunden zu haben

VON MARKUS VÖLKER

Dem FC Bayern ist drei Wochen vor Beginn der Bundesliga-Rückrunde ein Coup gelungen. Jürgen Klinsmann wird Trainer in München. Der Bundesligist teilte die Nachricht am Freitagvormittag auf seiner Homepage mit: „Schneller als zunächst gedacht hat der FC Bayern einen Nachfolger für den am Saisonende scheidenden Ottmar Hitzfeld gefunden, und der ist ein alter Bekannter in München.“ Klinsmann übernimmt ab Juli „die sportliche Führung“ des deutschen Rekordmeisters.

Das kommt überraschend, war doch in den vergangenen Tagen eher damit gerechnet worden, dass der Portugiese José Mourinho oder der Holländer Frank Rijkaard künftig an der Säbener Straße arbeiten wird. Klinsmann, der von 1995 bis 1997 als Stürmer beim FC Bayern spielte, mit ihm die Meisterschaft und den Uefa-Cup gewann, gehörte nicht zum engen Kreis der Favoriten, wenngleich er bei vakanten Trainerstellen in der letzten Zeit fast immer genannt wurde – ob es nun der FC Chelsea war, Newcastle United oder die amerikanische Nationalmannschaft.

Die Verpflichtung Klinsmanns wirft freilich Fragen auf: Schmeißt er Torwarttrainer Sepp Maier nun achtkantig raus, so wie er es in der Nationalmannschaft vorgemacht hat? Verlegt er seinen Wohnsitz dauerhaft nach München oder bevorzugt er den Pendelverkehr zwischen Bayern und Kalifornien? Kann Klinsmann, der sich bisher nur als Nationalcoach in einer Ausnahmesituation bewährt hat, einen europäischen Spitzenklub trainieren? Ist er reif für eine Aufgabe im grauen Alltag der Bundesliga? Und schließlich: Verträgt er sich mit Bayern-Manager Uli Hoeneß, dem ein gespanntes Verhältnis zu Klinsmann nachgesagt wird?

Provokation mit Kalkül

Klinsmann hatte als DFB-Chefcoach das Establishment der Bundesliga mit Aussagen über verstaubte Trainingsmethoden und mangelnden Innovationswillen provoziert. Ohne den Namen des FC Bayern explizit zu erwähnen, forderte er eine Neuorientierung in der Liga. Der Maßstab dürfe nicht die nationale Spitze sein, sondern die Champions League, der FC Barcelona, Arsenal London oder Ajax Amsterdam, mahnte Klinsmann. „Zwischen den deutschen Topteams und diesen Mannschaften liegen Welten“, sagte er. Er gab gleichzeitig vor, die Lösung all der Probleme gefunden zu haben: „Das alles können deutsche Fußballer – wenn sie richtig geführt werden und richtig trainieren.“ So importierte er Fitmacher aus den USA, verpflichtete einen Spielanalytiker aus der Schweiz und erprobte seine rhetorische Durchschlagskraft („Die haben Muffe!“). Uli Hoeneß unterstellte Klinsmann im Gegenzug nicht nur Berechnung und Geldgier, er machte auch keinen Hehl daraus, dass er den ehemaligen Stürmer für einen Emporkömmling und Schaumschläger hielt. Düster orakelte Hoeneß vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland: „Die Mächte sind gegen ihn. Jetzt aber muss er einsehen, dass Sturheit und Eigensinn keine Chance haben. Ein Volk von 80 Millionen Leuten steht dagegen, mit all deren Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Das hält kein Mensch aus.“ Im März 2006 sagte Uli Hoeneß: „Er verlangt von seinen Spielern totale Aufopferung, aber dann muss er selbst auch dazu bereit sein.“ Und weiter: „Der soll hierher kommen und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen.“ Den Scheiß macht Klinsmann jetzt in München – Hoeneß hat es so gewollt. Es ist ein Experiment für den deutschen Fußballprimus, ein echtes Wagnis. Aber wie ist es gekommen, dass der Großkritiker zum größten Fan des 42-Jährigen geworden ist? War es die vertrackte Lage des Klubs, die den alten Haudegen Hoeneß umstimmte und das Weltmännle nun nach Bayern holen ließ?

Wider die Saturiertheit

Die Verpflichtung Klinsmanns könnte als spätes Eingeständnis bajuwarischer Unzulänglichkeiten und einer gewissen Saturiertheit interpretiert werden. Sie impliziert einen Wandel. Dessen ist sich die Führungsriege bewusst. Die Entscheidung ist deswegen wohl auch nicht überstürzt gefällt worden. Vorstandschef Karl-Heinz Rummigge hat sehr genau gewusst, warum er Ottmar Hitzfeld die Tage in München so lange madig gemacht hat, bis der von sich aus den Ausstieg beim FC Bayern München verkündete.

Der Deutsche Fußball-Bund hat derweil das Engagement Jürgen Klinsmanns als neuen Trainer des FC Bayern gelobt. Es sei eine tolle Sache, dass der ehemalige Nationaltrainer wieder nach Deutschland zurückkehre, erklärte DFB-Präsident Theo Zwanziger. „Er hat viel für den deutschen Fußball geleistet und wird auch beim FC Bayern einiges bewegen.“ Bundestrainer Joachim Löw, bei der WM noch Klinsmanns Kotrainer, zeigte sich „positiv überrascht“. Klinsmann sei eine Bereicherung für den deutschen Fußball. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit.

Nach der WM 2006 galt es als ausgeschlossen, dass Klinsmann einen Klub in Europa übernimmt. Er fühlte sich ausgebrannt, wollte sich der Familie widmen. Nach und nach trudelten Angebote ein. Er war im Gespräch als englischer Nationaltrainer, auch als Coach von Los Angeles Galaxy. Doch Klinsmann hat sich für den größtmöglichen Kick entschieden: den FC Bayern, möglicherweise gegen den Willen der Familie. „Es ist wahr, dass ich immer, wenn es mir an der Zeit schien, mich weiterzuentwickeln, dies auch vorangetrieben habe“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Dieser Zeitpunkt war für Jürgen Klinsmann jetzt gekommen.