die taz vor 14 jahren zur einstellung der ermittlungen nach dem tod des raf-mitglieds wolfgang grams
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Am Ende hatte der leitende Oberstaatsanwalt Gerrit Stein Überraschendes nicht mehr mitzuteilen: Das RAF-Mitglied Wolfgang Grams hat sich, nachdem auf dem Bahnsteig von Bad Kleinen innerhalb von fünf oder sechs Sekunden über 40 Schüsse abgefeuert worden waren, spontan zum Selbstmord entschlossen und den tödlichen Schuß dann selbst abgegeben. Der Verdacht einer regelrechten Hinrichtung durch einen GSG-9-Beamten ist für die Schweriner Staatsanwaltschaft ausgeräumt, das Verfahren gegen die Beamten „Nummer 6“ und „Nummer 8“ wird eingestellt. Auch einen Unfall schließt sie nach über sechsmonatigen Ermittlungen weitestgehend aus.

Spätestens nach dem Gutachten der Züricher Stadtpolizei, das die GSG-9-Beamten entlastete, war abzusehen, daß die Bemühungen um nachträgliche Aufklärung der katastrophalen Festnahmeaktion vom 27. Juni 1993 mit einer intellektuellen Zumutung enden würde: Zwei Zeugen, die Kioskverkäuferin Joanna Baron und einer der eingesetzten Beamten (der namentlich nicht bekannte Spiegel-Zeuge), wollen gesehen haben, daß Grams erschossen wurde. Baron halten die Ermittler für unglaubwürdig, die Tatsache, daß 145 weitere Zeugen weder eine Hinrichtung noch eine Selbsttötung gesehen haben (wollen), dagegen für glaubhaft. Das fast systematische „Vergessen“ jedes professionellen Standards bei der Spurensuche wird unter „Fehler“, nicht unter „Vertuschung“ abgehandelt. Erst heute, einen Tag nach der Einstellung der Ermittlungen, erhalten die Anwälte der Eltern von Grams – auf richterliche Anordnung – Akteneinsicht. Zugesagt war ursprünglich etwas anderes: erst Akteneinsicht, dann Stellungnahme der Anwälte, dann Abschluß der Ermittlungen. Die Eltern haben angekündigt, Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß einzulegen.

Gerd Rosenkranz, 14. 1. 1994