Die Ironie muss alles überleben

„Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe“ heißt Rudolph Delsons eigenwilliger Debütroman über den 11. September. Darin kommen zu Wort: 35 Personen und einige Tiere

Der 11. September hat in der US-Literatur mittlerweile eine beziehungsdramaturgische Funktion erlangt. Mal bringt er Paare wieder zusammen – so in Don DeLillos „Falling Men“. Mal reißt er sie auseinander, wie im Falle von Rudolph Delsons erstem Roman, der im Original schlicht „Maynard and Jennica“ heißt. Maynard Gogarty, als notorisch erfolgloser Komponist und Filmemacher ein typischer Vertreter der New Yorker Avantgardeszene, kriegt angesichts des zur Schau getragenen Patriotismus, der medial inszenierten Plattitüden und kollektiven Trauerzeremonien das Kotzen. Seine Trauer gilt nicht den Opfern des Anschlags, sondern dem Tod der Ironie und jeglichen kritischen Urteilsvermögens, das vor „Nine Eleven“ die Bewohner Manhattans vom restlichen Amerika unterschied.

Den solidarisch im Schmerz vereinten „tränengeilen Gemütsmenschen“ im ganzen Land ruft der wütende junge Mann zu: „Ihr seid keine New Yorker, ihr seid Scheiße! Ich will eure Solidarität nicht, ich will meine World-Trade-Center-Türme wiederhaben, damit sie mir den Blick auf Amerika verstellen.“ So viel Nestbeschmutzung empfindet die gebürtige Kalifornierin Jennica Green, eine aufstrebende Finanzanalystin, als persönliche Kränkung. „Du weißt nicht, wann es an der Zeit ist, keine Witze mehr zu machen“, wirft sie ihrem Geliebten, mit dem sie gerade erst zusammenziehen wollte, an den Kopf. Und wendet sich enttäuscht einem alten Jugendfreund zu, der gewiss gesellschaftskompatibler ist als der subversive Künstler Maynard.

Die Geschichte des ungleichen Paars, das sich durch Zufall in der U-Bahn begegnet und erst später, bei anderer Gelegenheit richtig kennenlernt, bildet nur einen von vielen Erzählsträngen dieses Romans. Wie in einer großen „Das war Ihr Leben“-Show kommen fast alle auftretenden Personen – und nicht nur die – abwechselnd zu Wort: Neben Maynard und Jennica die Familienangehörigen der beiden Hauptfiguren, Jennicas Jugendfreundin, deren Eltern und Bruder; Maynards Frau, eine deutsch-russische Fotografin, die er lediglich aus einwanderungstechnischen Gründen geheiratet und seiner Familie bislang verschwiegen hat; Puppy Jones, ein Musiker, der ein erfolgloses Stück von Maynard zu einem Riesenhit gesampelt hat; ferner ein Anwalt, die U-Bahn-Schaffnerin, Zufallszeugen, ein Hausmeister, ein Papagei, Grillen, Frösche und, und, und. Ein Personenverzeichnis, das am Schluss angehängt ist, umfasst 35 Namen und einige Tiere.

Leider gleitet dieses vom Autor ständig ironisch kommentierte Patchwork aus kleinen Anekdoten und Abschweifungen, Rückblenden und Erinnerungen längst Verstorbener, Rezepten und Zeitungsartikeln, das man wohl als „postmodern“ bezeichnet, ins Geschwätzige ab. Idiomatische Wendungen, etwa das ständige „Verstehste“ der Russin Ana oder der Slang des jugendlichen Zufallszeugen, haben zwar einen Wiedererkennungseffekt, verleihen den Figuren aber noch keine Originalität. Erst im letzten Drittel, wenn sämtliche Vor- und Vorvorgeschichten erzählt sind, gewinnt der Roman an Schwung, wozu Maynards furiose Hasstiraden auf Amerika einiges beitragen. Anas Entscheidung, den Einsturz der Doppeltürme zu nutzen, um sich aus dem Staub zu machen und mit Maynards Hilfe das Geld für die Opfer einzustreichen, verleiht dem Plot etwas Überdrehtes, Komödiantisches. Das Verwirrspiel um die verschwundene Ehefrau, die plötzlich wieder auftaucht und die Katastrophe in eine clevere Geschäftsidee umzuwandeln versucht, wiederholt jedoch nur das Klischee östlicher Schlitzohrigkeit.

Mit seiner Belustigung über eingefahrene Betroffenheitsrituale und den patriotisch korrekten Opferkult rührt der 32-jährige New Yorker Rudolph Delson an ein Trauma der jüngsten amerikanischen Geschichte und provoziert nebenbei die Frage, ob man über den 11. September eine Komödie schreiben darf. Sicher darf man, aber komisch sollte sie schon sein. MARION LÜHE

Rudolph Delson: „Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe“. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Nagel & Kimche, Zürich 2007, 391 Seiten, 21,50 Euro