Und jeden Tag ist Sonntag

Über Sylt sind viele Klischees im Umlauf. Das macht sie für Fotokünstler zu einem interessanten Sujet, wie eine sehenswerte Ausstellung im Altonaer Museum in Hamburg-Altona zeigt

VON KLAUS IRLER

Seltsam, auch wenn man noch nie da war, ist einem die Szenerie vertraut. Menschen schlendern über den Strand, ziellos, und aus der Ferne sieht es aus, als gingen sie in Zeitlupe. Kinder stehen auf Promenaden an Fernrohren, die erst nach Geldeinwurf funktionieren und aus einer Zeit stammen, in der es auch noch Kaugummi-Automaten gab. Polizisten haben ein Auge auf den Getränkeausschank neben dem Autoscooter. Fähnchen wehen bräsig im Wind. Es ist definitiv Sonntag an diesem Ort, und zwar täglich. Der Ort heißt Sylt und er ist etwas Besonderes, weil an diesem Ort zwei Gegensätze kollidieren: Erstens ist Sylt durch und durch deutsch. Zweitens ist Sylt eine Urlaubsinsel.

Das ist einer der Gründe, warum Sylt für Künstler interessant ist. Ein zweiter Grund ist die schöne Landschaft, ein dritter die Existenz der ganzen Sylt-Klischees, auf die man als Künstler gut reagieren kann, wissend, dass auch das Publikum um die Sylt-Klischees weiß. Sylt ist ein 1a-Sujet und es ist verwunderlich, dass es nicht mehr Ausstellung gibt wie jene, die seit heute im Altonaer Museum in Hamburg zu sehen ist. „Sylt. Insel zwischen Himmel und Meer“ heißt die Ausstellung und sie zeigt vor allem Fotos von zwölf Fotografen aus den Jahren 1962 bis 2007. Außerdem gibt es ein paar alte Gemälde, Postkarten und Textilien, als Ergänzung zu den Fotos.

Die alten Fotos stammen aus dem Archiv des Stern, der seinerzeit die Fotografen Robert Lebeck und Volker Hinze losschickte, um den Deutschen von Sylt zu erzählen – vielleicht sind es diese beiden Fotografen, die dem Sylt-Mythos seine Grundlage gaben. Lebeck feiert in den 1960er Jahren das süße Leben auf deutschem Boden, bei ihm sind die Menschen jung, schön und gut gelaunt. Mitunter sind sie auch nackt, das allerdings wegen FKK, und deswegen sehr beiläufig und cool. Lebeck ist außerdem einer, der einen Porsche so fotografieren kann, dass er wie ein Teil der ländlichen Idylle aus Pferden und Wiesen aussieht. Mondänes Sylt. Wäre James Bond ein Deutscher, hier würde er seine Wochenenden verbringen.

Gut ein Jahrzehnt später ist Volker Hinze auf Sylt unterwegs, um die Auswirkungen des Tourismus zu dokumentieren. Die Dünen sind zugeparkt, die ersten Bausünden tauchen auf. Sylt öffnet sich für die Mainstream-Urlauber. Auf die Stern-Leser dürfte das wie eine Aufforderung gewirkt haben, zumal die Promis auf der Insel ja die waren, die man auch aus dem Fernseher kannte: Helmut Kohl zum Beispiel. Oder später dann Karl Dall.

Weniger dokumentarisch wird die Sylt-Fotografie dann, wenn sie jenseits des Jahres 2000 entstanden ist. Es gibt konzeptuelle Arbeiten wie die Polizisten-Portraits der Bremer Fotografie-Studentin Julia Einsiedler, auf denen die Insel-Polizisten einerseits meist dastehen wie hormonell überlastete Cowboys, dabei aber nett lächeln. Oder den pathetischen Blick vom Strand aus in die Weite des Meeres, mit dem der Bremer Foto-Professor Peter Bialobrzeski auf die Vergänglichkeit der Insel hinweisen will, eingedenk des Ortes Rungholt, der im Jahr 1362 in den Fluten der Nordsee versank.

Oder es gibt die Arbeiten der Berliner Fotografin Julia Baier, die als Stipendiatin einen Monat auf Sylt verbrachte und sich vom Mythos der Insel überhaupt nicht beeindrucken ließ: Ihre Bilder erzählen von einer Gegenwart, die unspektakulär ist – und trotzdem ihre Geheimnisse hat. Baiers Dreirad am Treppenaufgang oder das Trampolin-Springen auf der Kirmes brauchen kein Sylt, um Ausstrahlung zu entwickeln. Sylt lebt in Baiers Bildern jenseits der Klischees – eine bessere Mitteilung kann man der Insel nicht machen.

Bis 31. August im Altonaer Museum in Hamburg