ortstermin: Im ostfriesischen Collinghorst, wo Kirchgänger fünf Euro in die Hand gedrückt bekamen
: Seliger als Nehmen

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Es sei nicht seine Absicht gewesen, versichert Pastor Burkhard Westphal. Er habe lediglich die Lokalzeitungen über seine Idee informiert, jedem Gottesdienstbesucher fünf Euro in die Hand zu drücken. Dass sich jetzt gleich drei Kamerateams in der kleinen Dorfkirche drängeln und er, Westphal, in dieser Woche mehr als ein Dutzend Interviewanfragen bekam – verlegen ist der Pastor der ostfriesischen Dorfgemeinde Collinghorst deswegen kein Stück. Er sortiert die Reporter, stürmt bereitwillig für einen Kameraschwenk ums Gotteshaus. „Ich fühle mich sehr wohl dabei“, versichert er Medienleuten wie Kirchenbesuchern. Und das glaubt man ihm sofort.

Ein besonders schillerndes Publikum hat sich ja nicht eingefunden, um sich mit einem 5-Euro-Schein für den Gottesdienstbesuch belohnen zu lassen. Aber mehr als 200 der 250 vorbereiteten Umschläge – Inhalt: ein Flyer und der nämliche Geldschein – werden am Ende weggegangen sein. Gegenüber einer normalen Besucherzahl von etwa 70 eine deutliche Steigerung. Etwa zwei Drittel der Besucher, schätzt Gemeindehauswartin Adele Olthoff, sind Schäfchen der Gemeinde. Von weit her zu kommen lohnt kaum, Ostfriesland ist weitläufig, und fünf Euro hat man da schnell durch den Auspuff geschickt.

„Das alte Leben verlieren, neue Schritte riskieren“, fordert das Lied, das die Gemeinde singt. Pastor Westphal schlendert mit Gotthilf-Fischer-Elan durch den Mittelgang. Dann legt er los mit dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Generationen von Theologen haben sich daran die Zähne ausgebissen: Da gibt der Herr dem einen Knecht fünf Geldmünzen, hintersinnig „Talente“ genannt, einem zwei und einem bloß eine. Lob ernten die beiden, die das, was sie bekamen, noch vermehren konnten.

Spätestens hier ahnt die Gemeinde, dass die Latte für Beschenkte hoch liegt. „Heute beginnt ein Stück Bibelarbeit“, kündigt Westphal an. Ein Tag der Abrechnung ist schon im Kalender markiert: Im Gottesdienst am 6. April darf jeder berichten, was er zur Mehrung der fünf Euro getan hat – zum Wohle der Kirche. Denn – Achtung Wortspiel! – „Jeder hat Talente!“ Kleines Geld, gut investiert in einer gemeinschaftsstiftenden Aktion, soll wachsen wie Unkraut.

Dabei war es nicht etwa Ebbe im Gemeindesäckel, die Westphal zu dem Event angeregt hat. Für das eventuell hereinkommende Geld hat er noch gar keine Pläne. Ein Schelm, wer vermutet, hier sei der PR-Gag geboren gewesen, bevor die theologische Begründung ausgetüftelt war. Bei Dieter Ütrecht jedenfalls hat es gezündet. Sonst kein regelmäßiger Kirchgänger, hat er sich auf den Weg gemacht, „wenn auch auf dem Land mal etwas los ist“. Eine Geldvermehrungs-Idee hat er noch nicht, überlegt aber schon, die Konfirmation seines Sohnes dafür zu nutzen. Adele Olthoff plant, zum Kuchenschmaus einzuladen. Ein älterer Herr will das Geld lieber zurückgeben.

Dass hier Geld verschleudert wird, findet keiner der Besucher. „Egal, was man macht, es kostet doch immer“, sagt Dieter Ütrecht. Die Gemeinde hat die 1.250 Euro aus einer Überschuss-Ausschüttung der Landeskirche schon seit vier oder fünf Jahren für eine ganz spezielle Aktion zurückgelegt. Einen positiven Effekt, scherzt Westphal, hat sie jedenfalls schon: „Jeder weiß jetzt, wo Collinghorst liegt.“ ANNEDORE BEELTE