die taz vor 19 jahren über den wahlerfolg der „republikaner“ in westberlin
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Eine Wahl und eine Abwahl, ein Triumph des kontaktgehemmten Paars SPD/AL und eine Niederlage der Parteien insgesamt. Regierungswechsel, Rebellion des Wählers gegen eine blasse Vereinnahme des Regierenden und gegen das eher depressive Beschwören der richtigen Inhalte und außerdem: die Etablierung der Rechtsradikalen. Die CDU, die die Verwaltung von Subventionopolis schon als Erbfolge zu praktizieren gedachte, hat ihren rechten Rand nicht halten können. Es war allerdings auch der erste Test für die Organisationsfähigkeit der Rechtsradikalen. Vorher durften sie in Berlin nicht antreten.

Der Triumph von SPD und AL ist ein Paradox, ein Sieg der Argumente, weil einfach die Argumente in der Idiotie des Wahlkampfes übrigblieben. Der Wahlkampf hatte keine Zuspitzung der Auseinandersetzung gebracht, er hat die Wut der Berliner hochkochen lassen. Alle drei sensationellen Ergebnisse, das hohe Abschneiden der Rechtsradikalen, der SPD/AL-Sieg und der hohe Anteil der Nichtwähler läßt sich auf einen Nenner zurückführen: die Widersprüche der Stadt sind weitaus schärfer und bewußter, als es sich in den Alternativen der Parteien ausdrückte. Die Getto-Widersprüche der Stadt ließen sich nicht von einer Politik for show mit anrüchigen Senatoren auffangen, wie es die CDU praktizierte. Die Verschärfung der sozialen Lage, von der Gesundheitsreform bis zur Wohnungsnot, forderte einen Machtwechsel. Die Großstadt hat als Subventionopolis keine Zukunft mehr. Machtwechsel war angesagt, auch wenn sich die SPD vor jeder Koalitionsaussage flüchtete. Jetzt haben die Wähler die Partei in Richtung Rot-Grün geschoben, ein harter Brocken für die ÖTV-Fundamentalisten. Die AL-Fundamentalisten haben inzwischen Spaß an der Politik gefunden. Die FDP ist von der Bühne verschwunden, politisch war sie es schon vorher. Bleiben die „Republikaner“. 8,5 Prozent für die Rechten: Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!

Klaus Hartung, taz 31. 1. 1989