Türkinnen kämpfen für Kopftuchverbot

In allen Teilen der Türkei demonstrieren vor allem Frauen für die Beibehaltung des Kopftuchverbotes an Unis und öffentlichen Institutionen. Die Regierung will das Verbot per Verfassungsänderung aufheben, das Parlament am Mittwoch entscheiden

AUS ISTANBUL DILEK ZAPTCIOGLU

Die geplante Aufhebung des Kopftuchverbotes an den Universitäten in der Türkei spaltet das Land in zwei Lager. Landesweit gingen am Wochenende fast 150.000 Menschen spontan gegen eine „schleichende Islamisierung“ auf die Straße. Während in Izmir Frauen schwarze Tschadortücher verbrannten, forderten in Antalya verhüllte Frauen die Aufhebung des Verbots nicht nur an der Uni, sondern auch im öffentlichen Dienst. Akademiker und Uni-Rektoren drohen mit Rücktritt und Boykott im Falle einer Aufhebung des Verbots.

Eine für die Aufhebung des Kopftuchverbotes notwendige Verfassungsänderung hatte am Freitag den zuständigen Ausschuss des Parlaments passiert. Die Sitzung dauerte elf Stunden, es kam zu Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten. Die Änderung kommt am Mittwoch ins Plenum und wird höchstwahrscheinlich mit den Stimmen der Regierung und denen der extremen rechten Oppositionspartei MHP angenommen.

Die Gegner der Verhüllung im Hochschulbereich stützen sich auf zwei Urteile des Verfassungsgerichts von 1989 und 1990 sowie auf ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichthofs von 2004. Die Straßburger Richter lehnten die Klage der verhüllten Studentin Leyla Sahin 2004 u. a. mit dem Argument ab, dass das Kopftuch „zum Symbol des politischen Islam“ geworden sei und der türkische Staat das Recht habe, auf seine Weise den Laizismus zu schützen.

Genauso wie die sozialdemokratische Partei DSP und die linke ÖDP schlägt der Jurist und Menschenrechtler Mithat Sancar ein „allgemeines Demokratisierungsprojekt“ vor. Das würde die Freiheit des Kopftuches an den Universitäten mit einschließen, aber genauso dem Druck auf unverhüllte Frauen vorbeugen.

Juristen weisen darauf hin, dass nach der Verfassungsänderung das Verhüllungsverbot auch im öffentlichen Dienst und an den Gymnasien nicht aufrechterhalten werden kann. „Eine Lösung im Sinne der verhüllten Studentinnen muss trotzdem gefunden werden“, sagt die Soziologin Meryem Koray, „wir müssen aber auch endlich über den frauenfeindlichen Charakter der Verhüllung sprechen – ohne die Angst, gesteinigt zu werden“.

Die Kopftuchfrage tangiert auch langsam das Kurdenproblem. Die Chefin der kurdischen DTP, Aysel Tugluk, sprach sich gestern gegen die Verfassungsänderung und den „moderaten Islam“ der AKP aus. Die Tageszeitung Taraf brachte ein Interview mit PKK-Führern, die die Pläne ablehnen, weil Erdogan der kurdischen Bewegung mit seiner populistisch-islamischen Politik die Basis zu entziehen droht.

Schließlich kamen am Sonntag tausende Aleviten zu einer Demonstration gegen Erdogan zusammen. Sie forderten die Abschaffung des sunnitisch geprägten Amtes für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) und des zwangsweise erteilten sunnitischen Religionsunterrichts bis zum Abitur. Erdogan antwortete seinen Gegnern mit den Worten: „Alles umsonst – der Wille der Mehrheit wird durchgesetzt.“