Ein Leben lang Antifaschist

Fritz Bringmann wird 90 Jahre alt. Zu diesem Anlass gibt es am Samstag einen Empfang in Neuengamme. Der Antifaschist hat sein Leben lang darum gekämpft, dass auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers eine Gedenkstätte entsteht

Bringmann ist glücklich darüber, dass es die Gedenkstätte Neuengamme gibt. Sie ist so etwas wie sein Lebenswerk

VON ELKE SPANNER

Einmal war Fritz Bringmann kurz davor, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Das war im Jahr 2001, als der Hamburger CDU-Schill-Senat plötzlich verkündete, das Gefängnis auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Neuengamme stehen zu lassen. Fast fünfzig Jahre hatte Bringmann darum gekämpft, dass dort eine würdige Gedenkstätte entsteht. Dann kam plötzlich Ronald Schill, berief sich kühn auf seinen antifaschistischen Großvater und verlangte, in Neuengamme weiterhin Menschen einzusperren. Bringmann lächelt zufrieden. Er zieht ein Foto hervor, das ihn im Gespräch mit Ole von Beust zeigt, dem Hamburger Bürgermeister. „Das haben wir natürlich nicht mitgemacht.“ Die Amicale Internationale, die internationale Organisation früherer Neuengamme-Häftlinge, konnte den Senat schließlich umstimmen. Sein Bundesverdienstkreuz hat Bringmann auch heute noch.

Bringmann wird am Samstag 90 Jahre alt. Nachdem er viele Ämter in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)“ und der Amicale innehatte, ist er heute deren Ehrenpräsident. Diesen Titel zu tragen, bedeutet ihm viel mehr als das Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Sein Verhältnis zu dieser Republik war immer ambivalent. Im Nationalsozialismus hat er viele Jahre in Konzentrationslagern verbracht. Als 17-Jähriger wurde er von der Gestapo verhaftet, als er antifaschistische Parolen auf eine Wand pinselte. Wegen Hochverrates kam er zunächst zwei Jahre in Haft, anschließend ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Vier Jahre war er dort, dann weitere fünf Jahre im KZ Neuengamme. Befreit wurde er erst 1945, als britische Truppen die KZs befreiten.

Für Bringmann war damit aber nur der eine, düsterste Teil der Geschichte des Faschismus vorbei. Er sah, dass die Gesellschaft wohl von den faschistischen Machthabern befreit, dadurch aber keine neue geworden war. Fortan kämpfte er gegen den Verbleib nationalsozialistischer Täter in Ämtern und Betrieben, engagierte sich in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und den Überlebendenorganisationen von Sachsenhausen und Neuengamme. Schon auf der Heimfahrt zu seinen Eltern in Lübeck, nach der Befreiung aus dem KZ, machte er kurz bei Antifaschisten Station, um sich mit Flugblättern und Texten zu versorgen. Kaum war er in Lübeck angekommen, begann er die Unterlagen zu verteilen. Es brachte ihm weitere Festnahmen, Verhöre und Prozesse ein, wieder wegen des Verbreitens ungenehmigter Propaganda. „Ich erlebte das, was ich bei Verhören durch die Gestapo auch schon erlebt hatte.“

Das Dorf Aukrug in Schleswig-Holstein, in dem Bringmann mit seiner Frau Alice lebt, zählt nur wenige hundert Einwohner. Seit mehr als 40 Jahren wohnt die Familie dort, zunächst mit ihren drei Kindern. Bringmann, der aus Lübeck stammt, fühlt sich der Gegend sehr verbunden. Die dunkelgetäfelten Wände des Hauses sind mit Schiffsmotiven geschmückt, Segelboote in Kupfer und Öl. Sein Arbeitszimmer ist nach wie vor ein Ort, von dem Kontakte in die ganze Welt ausgehen. Durch seine Arbeit bei der Amicale hat Bringmann Freunde und Bekannte in allen Ländern, die vom Faschismus betroffen waren. Noch heute hält er intensiven Kontakt mit früheren Mithäftlingen in Frankreich, Polen und der Ukraine, um nur einzelne Beispiele zu nennen. In dunklen Holzschränken reihen sich Ordner und Bücher aneinander, Stapel mit alten Zeitungsausschnitten, Dokumenten und Fotos sind hier und da aufgetürmt.

Bringmanns Sohn lebt mit seiner Familie in der Wohnung über seinen Eltern. Die beiden Töchter sind schon als Jugendliche ausgezogen – in die damalige DDR. Mit 16 und 17 Jahren sind sie nahe Rostock auf ein Internat gekommen. „Bei uns unterrichteten damals noch stramme Nazilehrer“, erzählt Bringmann. Immer wieder hätten seine Töchter gegen sie aufbegehrt. Die Jüngste hatte ihrem Lehrer mal widersprochen, als es um die Darstellung des Krieges ging. „Seither hatte es gekriselt.“ Die Ältere wollte mit Bringmann zur Einweihung der Gedenkstätte Buchenwald fahren. Die Schulleitung wollte ihr dafür nicht frei geben. Sie ist trotzdem mitgefahren. Über frühere Mithäftlinge aus Sachsenhausen organisierte Bringmann schließlich, dass die Mädchen in eine DDR-Schule nahe der Ostsee kamen. „Dort haben sie fantastische Verhältnisse vorgefunden.“

Zu der Zeit war Bringmann schon lange bekennender Kommunist. Das war er nicht sein Leben lang. Wer das leichtfertig behauptet, erntet sofort Widerspruch. Erst in der Gefangenschaft im Konzentrationslager Sachsenhausen habe er sich zum Kommunismus bekannt, sagt er. Damit drückt er noch heute seine Hochachtung vor den Kommunisten aus, die er damals im Lager kennenlernte. Solidarisch seien sie gewesen. Integer. Fünf bis sechs seiner kommunistischen Mithäftlinge seien nach ihrer Entlassung 1939 gleich wieder in den Widerstand gegangen. Natürlich wurden sie wieder verhaftet, „Endstation Plötzensee“, fasst Bringmann ihren weiteren Weg knapp zusammen.

Sein Bekenntnis zum Kommunismus hat Bringmann im Nachkriegsdeutschland viel Ärger eingehandelt. Nicht zuletzt scheiterte der erste Versuch daran, ihm das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Hamburgs früherer Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) hatte Bringmann wegen seines Engagements für die Gedenkstätte Neuengamme vorgeschlagen. Während Bringmann noch darüber nachdachte, ob er sich von dieser Republik ehren lassen wolle, erledigte sich die Frage von allein: Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) lehnte ab. Einen Kommunisten wollte er nicht auszeichnen.

Bringmann ist wie ein lebendes Lexikon, wenn er vom politischen Widerstand erzählt. Zu jedem Ereignis hat er die Jahreszahl parat, oft den konkreten Monat. Fragen beantwortet er gerne mit Geschichten. Dabei spricht Bringmann vom Widerstand gegen den Faschismus und nicht von dem Leid, das er und Millionen andere Verfolgte im Naziregime erlitten haben. Das hat er auch nie bei den unzähligen Besuchen in Schulklassen getan, die ihn als Zeitzeugen eingeladen hatten. „Wenn man aus dieser Geschichte etwas lernen will, darf man sie nicht über das Leiden und Quälen vermitteln. Man muss den Widerstand darstellen.“ Das ist auch ein Kritikpunkt, den er an der Gedenkstätte Neuengamme hat. Der antifaschistische Widerstand, sagt er, komme in der Ausstellung zu kurz, vor allem der in den von Nazis okkupierten Ländern.

Doch er ist glücklich darüber, dass es die Gedenkstätte inzwischen gibt. Sie ist so etwas wie sein Lebenswerk. In der Nachkriegszeit war für ihn der größte Schock, als dort ein Gefängnis errichtet wurde. Mit der Begründung, durch einen humanen Strafvollzug die schreckliche Geschichte des Ortes auslöschen zu wollen. „Dass die Erinnerung ausgelöscht werden sollte“, sagt Bringmann, „war für mich das Schlimmste.“