Osten will Turbo-Abi nicht ändern

Nach Kritik am achtjährigen Gymnasium: Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt beharren auf Mindeststunden. Hessens Kultusministerin Wolff zieht sich zurück

BERLIN taz ■ Die Kultusminister von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben sich gegen Stundenkürzungen beim achtjährigen Gymnasium ausgesprochen. „Eine Kürzung der Unterrichtsstunden würde wohl kaum dazu beitragen, dass Deutschland bei internationalen Bildungsvergleichen in Zukunft besser abschneidet“, sagte der sächsische Kultusminister Steffen Flath (CDU) der taz. „Ich sehe keine Möglichkeit und vor allem keine Notwendigkeit, die Mindeststunden an den Gymnasien bis zum Abitur zu verringern.“

In den vergangenen Tagen ist eine heftige Debatte um das achtjährige Gymnasium entbrannt. In den westdeutschen Bundsländern beklagen sich Eltern und Lehrer über eine Überforderung der Schüler durch das Turbo-Abitur. Mehrere Ministerpräsidenten hatten daraufhin eine Kürzung der Stundenzahlen bis zum Abitur gefordert, darunter Günther Oettinger, Ole von Beust und Christian Wulff (alle CDU).

Der Thüringer Kultusminister Jens Goebel (CDU) warnte die Ministerpräsidenten nun vor „Aktionismus“. „Die Qualität des Abiturs muss erhalten bleiben“, sagte Goebel der taz. Eine Kürzung der Stundenzahlen stehe für Sachsen deshalb „nicht zur Diskussion“.

Die klare Linie gegen Unterrichtskürzungen kann auch als späte Retourkutsche gegen die westdeutschen Bundesländer gewertet werden. Denn insbesondere Baden-Württemberg und Bayern hatten 1995, als sie noch das neunjährige Gymnasium verteidigten, das Pflichtvolumen bis zum Abitur in die Höhe geschraubt: Sie wollten das damals rein ostdeutsche Turbo-Abitur nur anerkennen, wenn die Schüler von der fünften Klasse bis zur Reifeprüfung 265 Wochenstunden ablegen. Das entspricht rund 34 Stunden pro Woche. „Dass eine eigens für die neuen Länder erfundene Regelung zur Anerkennung des Abiturs nun plötzlich nicht mehr erfüllbar sein soll, stößt im Osten sauer auf“, sagte Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz der taz. Auch er hielte es deshalb für falsch, die Mindeststunden bis zum Abitur zu kürzen. „Das würde den unbegründeten Verdacht nähren, dass das achtjährige Gymnasium nur eine verkappte Sparmaßnahme der Finanzminister war.“ Die hohe Belastung resultiere weniger aus der Stundenzahl als aus der in manchen Ländern zu hohen Stoffdichte. „Die Lehrpläne sind zum Teil überfrachtet“, sagte Olbertz.

Sachsen und Thüringen haben nach der Wende durchgehend am in der DDR üblichen Abitur nach zwölf Jahren festgehalten, Sachsen-Anhalt wechselte 1998 zum Abitur nach 13 Jahren, um 2003 wieder zur alten Regelung umzustellen.

Die Aufregung über eine angebliche Überforderung der Schüler trifft unter den ostdeutschen Kultusministern auf Unverständnis. „Die von anderen Bundesländern berichtete große Unzufriedenheit über zu viel Unterricht gibt es in Sachsen so nicht“, sagte Sachsens Kultusminister Flath.

In Hessen hat die Verkürzung des Gymnasiums unterdessen sein erstes politisches Opfer gefordert: Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hat angekündigt, sich aus der Landesregierung zurückziehen. Damit reagiert sie auf das schlechte Abschneiden ihrer Partei bei den Landtagswahlen Ende Januar, das Wahlbeobachter auch auf eine übereilte Einführung des Turbo-Abiturs zurückführten. Bei Umfragen trauten der hessischen CDU nur noch ein Viertel der Bürger zu, die Probleme beim Thema Bildung lösen zu können, der SPD hingegen 40 Prozent. Die SPD hatte angekündigt, die Reform bei einem Wahlgewinn teilweise wieder rückgängig zu machen.

„Das Tempo der Reform in Hessen ist unbestreitbar hoch gewesen“, schrieb Wolff nun in einem Brief an Ministerpräsident Roland Koch (CDU). In Kombination zu anderen Maßnahmen sei dies als Belastung empfunden worden.

Wolff war nicht nur wegen der Reform des achtjährigen Gymnasiums in die Kritik geraten. Für Unmut hatte im vergangenen Jahr auch ihr Vorstoß gesorgt, Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorie in der Schule miteinander in Verbindung zu bringen. WOLF SCHMIDT