Innerstädtisches Gebirgsmassiv

Die spanische Hauptstadt Madrid ist um eine weitere spektakuläre Museumserweiterung reicher: Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron integrierten in das bisherige CaixaForum ein altes Elektrizitätswerk und stockten es kunstvoll auf. Alt- und Neubau ergänzen sich auf ungewohnte Weise

Auch konstruktionstechnisch hebt sich der hochkomplexe Baukörper von den anderen Projekten auf dem Paseo del Arte ab

VON KLAUS ENGLERT

Miguel Zugaza, Direktor des Museo del Prado, bekannte einmal, nach Abschluss der ambitionierten Madrider Museumsmeile könne man endlich mit der Berliner Museumsinsel gleichziehen. Dieser Tage ist Zugaza dem ehrgeizigen Vorhaben einen gewaltigen Schritt näher gekommen. Denn nach jahrelangem Umbau der drei namhaften staatlichen Museen am Paseo del Prado in Madrid konnte nun auch die private Kunsthalle der reichen katalanischen Stiftung La Caixa letzte Woche festlich eröffnet werden.

Lange mussten die Madrider auf das mit viel Vorschusslorbeeren bedachte CaixaForum des Basler Architektenteams Herzog & de Meuron warten. Aber der Schlussstein in der ehrgeizigen Museumslandschaft ist nun endlich gelegt. Jetzt braucht man nur die Straße zu überqueren, um vom Prado, für den Rafael Moneo einen geradezu klassizistischen Erweiterungsbau errichtete, zur neuen Kunsthalle zu gelangen. Auch der erweiterte Musentempel Museo Thyssen-Bornemisza und das Museo Reina Sofía, für das Jean Nouvel einen aufsehenerregenden Anbau an die Ronda de Atocha setzte, befinden sich in unmittelbarer Nähe.

Herzog & de Meuron stellten sich der anspruchsvollen Aufgabe, die denkmalgeschützten Umfassungsmauern eines Elektrizitätswerks, des Central Eléctrica del Mediodía von 1899, nahezu komplett in den Museumsneubau zu integrieren. Arata Isozaki hatte es etwas einfacher, als er vor sechs Jahren für die CaixaForum-Kunsthalle in Barcelona den Ziegelbau einer modernistischen Tuchfabrik von 1911 lediglich um einen abgesenkten Eingangsbereich erweiterte.

Herzog & de Meuron akzentuierten nicht nur die spannungsvollen Beziehungen zwischen Alt- und Neubau, sie erklärten das neue Museum schlechthin zum „Magneten“ für ganz Madrid. José de Conrado, Direktor der Fundación La Caixa, tat es ihnen gleich und pries bei der Eröffnung die hybride Bauskulptur als „Gesamtkunstwerk“. Zwar wurde bereits im letzten Herbst viel Wirbel erzeugt, als Rafael Moneo ungewohnte Wegführungen durch den altehrwürdigen Prado trieb und das klassizistische Vokabular neu interpretierte, doch die eigentliche architektonische Sensation ließ bis jetzt auf sich warten. Die Schweizer Baumeister wollten beweisen, wie radikal zeitgenössisches und fantasievolles Bauen in einem traditionellen städtischen Umfeld möglich ist. Nun, der Nachweis ist ihnen zweifellos gelungen.

Gegenüber dem Königlich Botanischen Garten gelegen, ragt das CaixaForum aus dem leicht ansteigenden Wohnviertel wie ein Gebirgsmassiv empor. Der neue Baukörper wurde auf die bestehende Ziegelfassade des Elektrizitätswerks aufgestockt, während man den überflüssig gewordenen Altbau abriss. Die hochgezogene Fassade versteht Jacques Herzog als „zerklüftete Landschaft“, geprägt durch Schrägen und Einbuchtungen. Dabei orientiert sich das Rot der gusseisernen Fassadenplatten an den Dachziegeln der angrenzenden Wohnbauten. Diese Platten gehören zur architektonischen Attraktion des Museums: unregelmäßig perforierte Module, die das aufgepfropfte Gebilde wie eine Außenhaut abschirmen. Herzog & de Meuron interessieren sich seit einigen Jahren für diese hybriden Konstruktionselemente, die sie wegen ihrer textilen und dekorativen Eigenschaften schätzen. Dabei funktionieren die „porösen“ Platten gleichzeitig als Fassade und Fensteröffnung: Sie schließen ab, leiten aber zugleich gedämpftes Licht in die Museumsräume, in denen sie für ein angenehmes Clair-obscur sorgen.

Auch konstruktionstechnisch hebt sich der hochkomplexe Baukörper von allen anderen Projekten auf dem Paseo del Arte deutlich ab. Harry Gugger, Projektarchitekt von Herzog & de Meuron, erklärte während der Pressekonferenz: „Anfangs dachte niemand an die enormen Schwierigkeiten, die das Projekt mit sich brachte. Zunächst galt es, das Gebäude abzustützen, erst danach konnte der Granitsockel des Altbaus entfernt werden.“ Das gesamte Gebäude lastet im Untergeschoss auf drei mächtigen Pfeilern, die aus dem Fundament ragen.

Doch davon bemerken die Besucher nichts. Sie nehmen nur den verkleideten Betonkern wahr, einen mächtigen Stängel, über dem sich das Gebäude wie ein Pilzdach wölbt. Dieser prismatisch geformte Eingangsbereich mit öffentlichem Platz unter dem schützenden Dach mutet wie eine expressionistische Filmkulisse an. Die darunter befindlichen Säle, an deren Wände perforierte Aluminiumplatten angebracht wurden, sind allesamt stützenlos. Auch im Erdgeschoss und auf den vier oberen Etagen demonstrieren die Basler, wie man Räume gestalten kann: im Restaurant hängen tropfenförmige Lampen aus der Herzog-&-de-Meuron-Werkstatt. Die Treppenhaus-Spirale erstrahlt in blendendem Weiß. Und im Foyer überrascht der ruppige Charme eines Industrie-Ambientes, geprägt von Neonröhren und unverdeckten Ablüftungsrohren. Das Direktorenzimmer mag zunächst klaustrophobische Ängste wecken, bis man die Fensterschlitze unterhalb der Decke entdeckt.

Seit langem gehört es zum Arbeitsprinzip von Herzog & de Meuron, mit bildenden Künstlern und Fotografen zusammenzuarbeiten. Diesmal luden sie den französischen Botaniker und Gartenkünstler Patrick Blanc ein, auf dem öffentlichen Vorplatz, der früher von einer Tankstelle verstellt war, landschaftsarchitektonische Akzente zu setzen. Blanc dekorierte das Mauerwerk eines den Platz einfassenden Gebäudes mit einer Pflanzenwand. An dieser quer zur Kunsthalle emporragenden Wand wachsen 15.000 Exemplare von 250 verschiedenen Pflanzenarten, aufgehängt an einem metallischen Gewebe, das gleichzeitig als Bewässerungssystem dient. Gegenüber dem Botanischen Garten zweifellos ein unwiderstehlicher Blickfang für die Passanten am Paseo del Prado.

Das gerade eröffnete CaixaForum dürfte sich als eindrucksvolle Konkurrenz zum benachbarten Museo Reina Sofía entwickeln. Beide Institutionen haben sich in Spanien als führende Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts etabliert. Mit ihrem neuen Direktor Manuel Borja-Villel dürfte sich das Reina Sofía, das einen überragenden Fundus an klassischer Moderne besitzt, mehr und mehr experimentellen künstlerischen Praktiken öffnen. Den Sammlungsschwerpunkt des CaixaForums macht eher die Gegenwartskunst aus, beginnend mit den Nachkriegsströmungen um Joseph Beuys, Christian Boltanski, Bruce Nauman, Bill Viola, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Georg Baselitz. Auf die Rivalität der beiden Institutionen am Paseo del Prado kann man schon jetzt gespannt sein.

Vom Autor erscheint demnächst „Neue Museen in Spanien“ in der Stuttgarter Edition Axel Menges