Beschaulichkeit gegen Kommerz

Deutschland hat zwei Bierhauptstandorte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Andechs und Bamberg. Im einem regiert die christliche Doppelbödigkeit, im anderen die urige Gemütlichkeit. Vergleich eines passionierten Biertrinkers

Oberfranken hat mit rund 200 Bierbrauereien die höchste Brauereidichte der Welt. Mehr als tausend verschiedene Biere werden hier gebraut. Der Verein Fränkische Bierstraße bietet Touren an, die auch Nürnberg, das südliche Mittelfranken und den Steigerwald einbeziehen. www.bierstrasse.de, www.bierland-oberfranken.de

Weitere Bierstraßen in Franken: Aischgründer Bierstraße: Touristikinformation Steigerwald, www.bierstrasse.de

Bier- und Burgenstraße: Tourismus- und Veranstaltungsbetrieb der Stadt Kronach, www.kronach.de

Der Naturpark Fränkische Schweiz bietet Bierfreunden ein kulinarisches Erlebnis. Auf etwa 2.000 Quadratkilometer Fläche gibt es gut 70 Brauereien. Speziell zu erwähnen ist dabei die Gemeinde Aufseß. Sie steht seit September 2000 im „Guinness Buch der Rekorde“. Mit ihren vier Brauereien bei nur 1.500 Einwohnern hat sie die weltweit größte Brauereidichte.

Am besten genießt man die Fränkische Schweiz beim Wandern und Radeln. Bei der Tourismuszentrale Fränkische Schweiz erhalten Sie die Broschüre „Brauereien, Brennereien, Bierkeller“ mit einem Verzeichnis aller Brauereien in der Fränkischen Schweiz. www.brauereiwandern.de

Steile Stufen, vor rund 400 Jahren in den Stein gehauen, führen hinab in das kilometerlange Labyrinth unter der Stadt Bayreuth. Die ursprünglich zur Gewinnung von Sandstein genutzten Katakomben wurden später zur Lagerung von Bier benutzt. Sie erzählen Brauerei- und Kulturgeschichte der Stadt. www.bayreuther-bierbrauerei .de, katakomben@bayreuther-bierbrauerei.de

Die Köbesse, so heißen die Kellner in den Kölner Brauhäusern, sind auf ihr Kölsch mindestens so stolz wie auf den Dom. Das Motto „Bier braucht Heimat“ haben die Kölner ernst genommen und 1986 ihr eigenes Reinheitsgebot in der Kölsch-Konvention manifestiert. Seitdem darf sich nur Kölsch nennen, was in Köln und naher Umgebung gebraut wird. Knapp 20 Brauereien haben die Konvention unterzeichnet. Köln und seine Biertradition können Besucher auf dem Brauhaus-Wanderweg kennenlernen. www.koelner-brauhaus-wanderweg.de, www. koelner-brauerei-verband.de

Buchtipp: Dietrich Höllhuber, Wolfgang Kaul: „Fränkische Schweiz. Ein neuer Wanderführer für Biertrinker“. Carl Verlag, Nürnberg 2004, 12,50 €

VON JÜRGEN ROTH

Klotzig schiebt sich das mehrgeschossige Bräustüberl in den Himmel über dem Heiligen Berg. Es thront da wie die Trutzburg der Gebieter über das Fünf-Seen-Land südwestlich von München, über den Pfaffenwinkel, in dem sich einst so diffuse Gestalten wie König Ludwig II., Sisi und Carl Orff herumtrieben. Kloster Andechs am Ostufer des Ammersees gilt in den Augen vieler als Deutschlands Bierhauptstandort, als einzigartige Pilgerstätte, an der man Gott und Gambrinus gleichermaßen huldigt.

„Your Hell’s! Your health!“ Hans Well von der Biermösl Blosn hebt den Tonkrug. Wir sitzen im Bräustüberl, das um die Mittagszeit bereits ordentlich gefüllt ist, und trinken das berühmte Andechser Hell. „Das Andechser Gefühl ist das Gefühl, nicht allein zu sein“, heißt es in Herbert Achternbuschs Film „Das Andechser Gefühl“. Hinzufügen müsste man allerdings noch die seltsam klebrige Simulation von Frömmigkeit, die das profane Gewusel zwischen Brezelkiosk, Bierkrugdepots und Ausschank begleitet. „Andechs hat nach wie vor eine Anziehungskraft, wegen der Doppelbödigkeit“, sagt Hans. „Kirche und Bier, der heilige Rausch, der gesegnete Suff, du weißt schon“, fährt er fort und instruiert dann eine amerikanische Reisegruppe am Nebentisch, die sich über enorme Schweinshaxen hermacht: „Be careful with the beer! Only one beer!“

Früher, bevor die etwa drei Kilometer lange Straße hinunter nach Herrsching entschärft wurde, war der Andechser Berg ein regelrechtes „Massengrab für Autos“, erzählt Hans. Nach acht dunklen Halben verblasst halt das Heilsversprechen, das sich mit dem Besuch der 1455 gegründeten Benediktinerabtei verbindet. Mag Klosterboss Johannes Eckert, der 2004 den schwer windigen und staatskanzleitreuen Pater (und heutigen Wirtschaftsberater) Anselm Bilgri verdrängte, auch das maßvolle „Genießen der Gegenwart“ als zentrales Moment der „Unternehmenskultur“ hervorheben. Das Motto der Firmenideologie jedenfalls ist so CSU-affin wie der verklärte Blick übers Voralpenland: „Unsere Tradition ist es, fortschrittlich zu sein; unseren Fortschritt verdanken wir einer großen Tradition.“ Dass es auf Kloster Andechs, wo jeder Versuch, einen Betriebsrat zu gründen, von der Kirche rabiat unterbunden wurde, einzig um barock kostümierte kapitalistische Interessen geht, zeigt sich nicht bloß an der neuen grauslichen Allwetterterrasse, die die stetig wachsenden Gästemassen aufnehmen soll, an den abstrusen Souvenirautomaten und an den Mitbringselbuden, sondern insbesondere an der schaurigsten Parkplatzanlage südlich der Donau: Eine monströs hässliche Waschbetonfassade, in die der Verkaufsstand „Glasl- und Buidl-Erkerl“ eingelassen ist, schiebt sich vors Auge, und in ihrem Inneren öffnen sich die Pforten zu braun gekachelten Pissoirs, die für Hundertschaften von Bierpowertouristen ausgelegt sind.

Das Andechser Gefühl für Hans: „Kirche und Bier, der heilige Rausch, der gesegnete Suff“

„Es dodeld – der Ort stirbt, so benennt man hier solche Entwicklungen“, sagt Hans und deutet auf eine skurrile Holzskulptur, die 2002 im Rahmen der Aktion „Kunst und Bier“ angefertigt wurde. Sie stellt irgendwie ineinander verkeilte Biertrinker oder was auch immer dar. Die eiserne marktwirtschaftliche Synthese aus Kitsch und Kirche illustriert indes noch einleuchtender ein stilisiertes Tor vor der Treppe zum Parkplatz: Auf zwei Säulen aus Baumstämmen liegen zwei Querbalken, zwischen die man dutzende – leider leere – Glasseidel geklemmt hat. „Im Spannungsfeld zwischen klösterlichem Leben und gewinnorientiertem Wirtschaften entstehen positive, gegenseitige Einflüsse“, erläutert die Website www.andechs.de.

So kann man das sehen. Brüsten sich die Andechser damit, „keine Mengenphilosophie“ und stattdessen ihre ganz spezielle „Qualitätsphilosophie“ zu verfolgen, so besäßen derartige Gummibegriffe 250 Kilometer weiter nördlich ihre Berechtigung. Im wahren Mekka der Bierverständigen, in Bamberg, gibt es noch zehn Brauereien, und unter denen befinden sich vier der sieben besten Braustätten der Welt. Kaum zu entscheiden, wo genau man rund um die liebliche Regnitz die Tage bei Bier und Palaver verdödeln soll.

Weder in den Gaststuben noch im Hausflur des „Fässla“, in dem man nach guter Sitte ruhig schon mal in den Morgenstunden ein wunderfeines Gold-Pils oder das mahagonifarbene Vollbier Zwergla weghaut, plappert irgendjemand über „Branding“ oder ähnlichen Schmarren. Selbstverständlich belästigt einen auch der urfreundliche Gastwirt Roland Kalb nicht mit Floskeln aus dem sinistren Reich des Marketings.

Die Hälfte der deutschen Brauereien liegt in Bayern. Oberfranken kann sogar mit der weltweit höchsten Brauereidichte aufwarten. In Deutschland zählte das Bundesamt für Statistik 2005 1.274 Brauereien. Aktuell ist ein Zuwachs bei Kleinbrauereien, die weniger als 5.000 Hektoliter pro Jahr brauen, zu beobachten. Dafür schrumpft die Zahl der mittelgroßen Betriebe in etwa der gleichen Größenordnung. Nur knapp 50 der über 1.000 deutschen Brauereien sind Großbetriebe mit einer Produktion von jeweils mehr als 500.000 Hektoliter Bier im Jahr. Zusammen stellen sie über 70 Prozent des deutschen Biers her. 5.000 verschiedene Biermarken können in Deutschland nach Aussage des Deutschen Brauer-Bundes verkostet werden.www.brauer-bund.de

Wer’s nicht nötig hat, bläst sich nicht auf. Er komme jeden Tag aus Buttenheim mit dem Zug hierher und trinke sein Bier, sagt ein Herr, der sich zu uns an den Tisch gesellt hat. „Mir hom halt noch a Gemütlichkeit“, meint er. Über uns hängen Lampen, die kleinen Bierfässern nachempfunden sind, vis-à-vis spielt ein Bub mit seinem Vater stillvergnügt Karten, am Tresen wird in sagenhafter Beschaulichkeit die Zeche beglichen, und im hintersten Eck hört man eine Frau ausrufen: „Der is a Philosoph!“

Nein, sagt der Herr, zwischen „Spezial“ und „Fässla“ gebe es keine Konkurrenz, beide hätten ihre hochzufriedenen Kunden, und das Wichtigste sei: „Die wollen nicht größer werden.“ Der Wille zur Genügsamkeit ist der Garant für ein gedeihliches Auskommen, für ein Leben ohne Hatz und Krampf. Hier wird Bier getrunken – und fertig. „Zur Not“, geben die jetzt eingetroffenen Schafkopfstammtischler kund, lasse man sich „mit der Feuerwehr ins Wirtshaus bringen“, aber dann herrsche Ruhe. Und schließlich sagt einer der vier Kameraden, der Gewerkschafter unter ihnen, über Bamberg hänge ein Segen. Zu keiner Zeit habe irgendeine Naturkatastrophe das „fränkische Rom“ heimgesucht, Bamberg sei ein wahrlich bevorzugtes, erlesenes Stück Welt, selbst wenn es wochenlang regne, laufe in Bamberg nicht mal eine Unterführung voll. Und darauf gibt man allzu gern eine weitere Runde aus.