Manie des Sammelns

Das geht auf keine Erdferkelhaut: Mit „HUM – Die Kunst des Sammelns“ begann das Festival MaerzMusik mit clever inszenierten Diskursen und E-Gitarre im Naturkundemuseum

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Die Tiere sind unruhig. Ihre Genealogie ist in Bewegung geraten. Elefant und Erdferkel? Nichts anderes als nächste Verwandte. „Die Verwandtschaftsbeziehung zwischen den Arten hat sich durch die Entwicklung der Molekulargenetik rapide gewandelt“, sagt Oliver Coleman, Kustos am Berliner Naturkundemuseum, in den an diesem Abend intim beleuchteten Sammlungsräumen dieser Humboldt’schen Sortier- und Erkläranstalt. Er meint damit auch das: Die menschliche Ordnung ist immer relativ, der menschliche Ordnungswille aber unermesslich. Der passt auf keine Erdferkelhaut. Nicht mal auf die eines afrikanischen Elefanten.

Oliver Coleman und seine Kollegen sortieren häufig um. Bringen Millionen Jahre Erdgeschichte auf den neuesten Stand. Verfassen immer neue Zwischenstände. Davon erzählt „HUM – die Kunst des Sammelns“ noch einmal an fünf Abenden. Davon, wie die Menschen Erkenntnisse sammeln, sie auf kleine Nadeln pieksen, in Alkohol einlegen oder in großen Vitrinen verstauben lassen. Insekten, Schnecken, Würmer, Fossilien, nicht weniger als 30 Millionen Exponate wurden im Naturkundemuseum in der Invalidenstraße seit Alexander von Humboldts Expeditionsreisen zusammengetragen.

Das Knochengerüst des Tyrannosaurus Rex steht majestätisch im abgedunkelten Foyer, eine Ikone der sich formierenden Wissensgesellschaft in den Ausläufern der Aufklärung. Anderes wird erst unter dem Mikroskop sichtbar. Zwischendurch gibt es ein Laborglas jenes australischen Rotweins, nach dem gerade eine von einer Berliner Doktorandengruppe auf Sulawesi neu entdeckte Schneckenart benannt werden soll. Fröhliche Wissenschaft.

„Nachts im Museum“: Nicht ohne Grund platziert dieser Film Ben Stiller ausgerechnet im New Yorker Museum of Natural History. Mit ihren Vitrinen, Skeletten und Präparaten sind Naturkundemuseen der Archetypus des Museums überhaupt. Ein Typusexemplar sozusagen: Ein Typusexemplar, erklärt Oliver Coleman, ist der Urtyp einer Art, das weltweit erstmals untersuchte und vor allem veröffentlichte, also in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publizierte Tier. Auch „der Herr Mayer von den rezenten Säugetieren“ hat so ein Typusexemplar in seiner Sammlung. Den Schädel des „Berliner Waldelefanten“, im Jahr 1900 erstmals vom hiesigen Zoologen Paul Matschie beschrieben.

Eingeladen zur „HUM – die Kunst des Sammelns“ hat das der Avantgarde verschriebene Musikfestival MaerzMusik. Wahrscheinlich erwarteten die meisten Besucher deshalb Kunst – und konnten am Ende gar nicht genug Naturkunde bekommen. Alles war so zart und doch gleichzeitig greifbar inszeniert, dass einen der Ort, seine Menschen und vor allem die Exponate für Stunden vollständig absorbierten.

Man wusste nie, wo man zuerst hinschauen, hinhören oder hinriechen sollte. Glücklicherweise wurde man von sogenannten Taxen, jungen Menschen mit prägnanten Fähnchen, durch die labyrinthischen Gänge der Sammlung gelotst. Wobei der Reiz groß gewesen wäre, einmal für eine Nacht zwischen 30 Millionen Exponaten aus 40 Millionen Jahren Weltgeschichte verloren zu gehen. Und in Berlins vielleicht doch schönstem Museumsgebäude.

„Ein taxomanischer Parcours durch die Forschungssammlungen des Museums für Naturkunde an der Humboldt-Universität zu Berlin“, so lautet der Untertitel dieser Weltenreise. Taxonomisch meint die Einordnung aller Lebewesen innerhalb einer biologischen Systematik, die künstlich gesetzte und natürlich begründete Eingrenzung zu einer Art oder einer Gruppe. Manisch beschreibt den menschlichen Willen zum Wissen, diese Versessenheit auf eine Ordnung der Dinge. Beides durchzieht das Naturkundemuseum. Beides scheint auf ergreifende Weise auf, wenn etwa in der Geweihsammlung aus dieser Ordnung der Dinge plötzlich eine Ästhetik der Ordnung wird. Im Hintergrund knistert Enrico Caruso.

„HUM“, nach einem Konzept von Julian Klein und KlangQuadrat, verschweigt die Grenze zwischen Inszenierung und musealem Alltagsbetrieb nicht. Der Mann mit dem Tom-Waits-Hut, der zwischen allerlei Ausgestopftem ganz zart die E-Gitarre quält, die Filmschleifen aus Monsterfilmen – Diskurskunst im Naturkundemuseum, ziemlich clever inszeniert. Überraschender ist es aber, welch performative Qualitäten plötzlich die Naturwissenschaften entwickeln. Der geschäftige Hausmeister mit dem viel zu großen Schlüsselbund, er wirkt pointiert platziert und ist doch langjähriger Mitarbeiter der Fossiliensammlung. Die Geschichte vom indonesischen Känguruschwanz, der als dort landestypischer Staubwedel zunächst in der völkerkundlichen Sammlung gelandet war, ist eine wahre Geschichte. Ein Ausflug mit Kustos Stephan Schultka in die Paläobotanik wird zu einer Reise in eine Welt vor unserer Zeit.

„Es ist das Verlangen nach dauerhafter Gegenwart all der wunderbaren Dinge, die zu sehen uns beglückt“, hat der Kulturphilosoph Manfred Sommer über das Sammeln geschrieben. „HUM – die Kunst des Sammelns“ teilt dieses Glück in Gegenwart 30 Millionen wunderbarer Dinge.

„HUM – Kunst des Sammelns“ heute, sowie 5. bis 8. März, 19 Uhr im Museum für Naturkunde, Invalidenstraße. Derniere am 9. März um 16 Uhr