Qualität und Delirium

Hoffen auf Blogs und Chatrooms? Oder auf den professionellen Kritiker als Vorsortierer? Im Instituto Cervantes wurde über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im deutschen und im spanischen Literaturbetrieb diskutiert

Auf die Frage, wer bestimmt, was wir lesen, möchte man etwas trotzig antworten: Wir selbst natürlich. Ausführlicher diskutierten darüber am Dienstag vier Gäste im spanischen Kulturinstitut Instituto Cervantes: Guillermo Altares, Redaktionsleiter der Literaturbeilage Babelia der liberalen spanischen Tageszeitung El País; Susanne Schüssler, Leiterin des Wagenbach Verlags, Sigrid Löffler, ehemalige Literaturchefin der Zeit und Chefredakteurin von Literaturen, und schließlich Mercedes Monmany, Literaturkritikerin der konservativen spanischen Tageszeitung ABC.

Eine gemeinsame Sprache fanden die deutschen und die spanischen Gäste allerdings nicht: Simultan übersetzt begannen die Spanier die Debatte wesentlich grundsätzlicher als die sich an der Rolle von Kritikern und Verlagen pragmatisch abarbeitenden Deutschen. Der Literaturbetrieb befinde sich mitten in der digitalen Revolution, so Altares und Monmany. Durch Internet und die Beschleunigung der Kommunikation werde der Kampf ums längerfristige Überleben der Titel immer härter. Die Selektion von Autoren oder Themen finde durch Blogs oder Chatrooms neue Kanäle.

Literatur und Literaturvermittlung wurden hier viel demokratischer verstanden als zum Beispiel von Sigrid Löffler, die dem spanischen Eingangsstatement pointenerprobt und vor vollem Saal widersprach. Nicht das Internet spiele eine große Rolle, sondern nach wie vor der Kritiker, der dem Leser den unübersichtlichen Markt mithilfe einer „Qualitätspyramide“ sortiere. „Die Bücher, die wir nicht erwähnen, sind nicht wichtig“, wusste Löffler. „Delirierendes Hintergrundrauschen“ im Netz wurde der Kommunikation von Lesern und Amateuren zwar zugestanden; die Deutungshoheit innerhalb der qualitativen Belletristik und des „Qualitätssachbuchs“ sah Löffler jedoch bei der professionellen Kritik.

Altares und Monmany zeigten sich uneinsichtig und bestanden auf der Rolle des eigenverantwortlichen Konsumenten, der mit den verschiedenen Informationsmöglichkeiten eben auch verantwortlich umgehen müsse. Außerdem könne der Kritiker nicht anders, so Altares, als beispielsweise auch Literatur mit Sensationswert wie Harry Potter zu besprechen. Der Geschmack der Leser spiele eben auch eine Rolle.

Susanne Schüssler sah als Vertreterin der Verlagsbranche keine sonderlich große Gefahr in den neuen Medien: E-books beispielsweise, für die es vor einigen Jahren noch einen eigenen Stand auf vielen Buchmessen gegeben habe, seien schon fast wieder verschwunden. Diese „Medienkuh“ werde zwar immer mal durchs Dorf getrieben, aber zu große Bedeutung solle man dem nicht zurechnen.

Leider ging es wenig um die Ausprägungen der Medienlandschaft und des Literaturbetriebs in beiden Ländern, was einen direkten Vergleich und die Einordnung einiger Argumente möglich gemacht hätte. In Spanien etwa nehmen Literaturbesprechungen oft den Charakter einer Empfehlung und weniger den einer kritischen Auseinandersetzung an, unter anderem, weil viele Schriftsteller nebenher als Autoren für Tageszeitungen tätig sind und sich so eine Verquickung von Interessen ergibt. Das jedoch war nicht Gegenstand der Diskussion. Stattdessen ging es beispielsweise darum, dass der Einfluss der Literaturbeilagen in den Zeitungen wesentlich größer ist als in Deutschland. Hierzulande wiederum spielen Wettbewerbe eine viel größere Rolle beim Marketing von Büchern als in Spanien. Mehr solcher Informationen hätte einer gemeinsamen Diskussionsbasis gut getan.

Die fand sich wieder, als es um Forderungen an die Kritik ging: Vielfältig, originell und unabhängig solle sich der Kritiker in seiner Auswahl zeigen, formulierte Monmany. „Einen Gegenkanon“ zu eröffnen heißt das bei Sigrid Löffler. Ein bisschen Werbung in eigener Sache war das auch: Die Exemplare von Literaturen waren am Ende des Abends verkauft. PATRICIA HECHT