die taz vor 5 jahren über colin powells kriegspropaganda vor dem un-sicherheitsrat
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Die Szenerie erinnert an US-amerikanische Strafprozesse: skeptische und vor Verantwortung gebückte Geschworenen lauschen dem Plädoyer der Anklage und haben nun über die Todesstrafe zu entscheiden. Allerdings: Als US-Außenminister Colin Powell gestern seine Multimedia-Anklage gegen den Irak vorbrachte, fehlte die Erwiderung der Strafverteidigung.

Was der Sicherheitsrat letztlich entscheidet, wird nicht vom Gewissen der einzelnen Mitglieder, sondern vom Ergebnis der Interessenabwägung jedes Einzelnen bestimmt werden. So ging es beim Auftritt Colin Powells auch nicht wirklich darum, den Sicherheitsrat zu überzeugen. Die Argumentation der US-Regierung ist unausweichlich: Der Irak zeigt nicht, was er hat – warum tut er das, wenn er nichts zu verbergen hätte? Um die Behauptung zu erhärten, dass der Irak etwas hat, zeigte Powell Fotos, spielte Tonbänder und wiederholte bekannte Vorwürfe.

Der US-Außenminister wollte vor allem den Ton und die Dynamik der Debatte noch einmal entscheidend beeinflussen. Das aber war im Grunde bereits gelungen, als die US-Regierung den Termin von gestern ankündigte. Denn schon damit war klar, dass es den anderen, vor allem den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat, jetzt nur noch um die Verteidigung der Institution gehen konnte. Da werden Friedensforscher und Militärexperten in den nächsten Tagen in allen Pressemedien der Welt analysieren können, dass das von Powell vorgelegte Material zwar einige neue Fragen, aber kaum harte Beweise bringt – egal.

Schon vor einem halben Jahr weigerten sich Vertreter der US-Regierung, mit dem skeptischen Ausland noch über den Wahrheitsgehalt der Bedrohungsszenarien durch den Irak zu reden. Stattdessen drohte Washington, jeden als naiv und irrelevant abzukanzeln, der der US-Regierung widerspreche. In der gleichen Situation ist seit gestern auch der Weltsicherheitsrat. Der Krieg ist ein Stück näher gerückt.

Bernd Pickert, taz, 6. 3. 2003