Ego-Monster sehen dich an

Das Horst-Janssen-Museum in Oldenburg stellt seinen Namenspatron dem Übervater Rembrandt gegenüber. Janssen selbst hatte die Marschrichtung vorgegeben – doch für die Erfahrung eines zerfallenden Ichs, die sich in seinen Porträts zeigt, gibt es bei Rembrandt kein Beispiel

VON ANNEDORE BEELTE

Hinter den Augenhöhlen lugt der Totenschädel hervor. Aus dem Loch da, wo der Mund sein sollte, ragen Raffzähne. Ein winziger Schildkrötenkopf schiebt sich aus dem panzerhaften Riesenkörper heraus. In sein Knautschgesicht hat Horst Janssen wieder und wieder die Abgründe der Seele gespiegelt. Darauf angesprochen, winkte er ab: Das seien doch bloß Stillleben. Wenn er nichts zu zeichnen dahabe, nehme er sich halt die eigene Physiognomie vor. Und außerdem verkaufen sich Selbstporträts wie geschnitten Brot: Alle wollen mal einen tiefen Blick in die Künstlerseele riskieren.

Was solchem Understatement entgegensteht, sind harte Zahlen: Rund zweitausend Mal hat sich der in Oldenburg aufgewachsene und 1995 dort beerdigte Grafik-Akrobat selbst dargestellt. Da scheint der Begriff „Obsession“ nicht zu weit hergeholt. Rembrandt van Rijn, ein anderer Pionier der Radierung und Forscher in der eigenen Physiognomie, brachte es nur auf siebzig Selbstporträts.

Die Idee, beiden eine gemeinsame Ausstellung zu widmen, kam aus dem Rembrandthuis in Amsterdam. Dessen Kurator Bob van den Boogert schlug dem Oldenburger Horst-Janssen-Museum eine Zusammenarbeit vor, um dem niederländischen Publikum einen Erstkontakt mit dem Deutschen zu ermöglichen. „Nach Ihm – Horst Janssen und Rembrandt“ ist ab Sonntag in Oldenburg zu sehen und wird im Anschluss nach Amsterdam gehen.

Die Oldenburger haben schon Erfahrung mit dem Ausstellungskonzept, ihren Local Hero mit den ganz Großen der Kunstgeschichte zu verkuppeln – erst 2001 mit Goya, dann 2004 mit Egon Schiele. Janssen und das Wiener Enfant Terrible jedoch wurden vom Publikum eher als Alptraumpaar wahrgenommen und weitgehend mit Nichtachtung gestraft. Mit dem grundsympathischen Rembrandt, bekannt als pausbäckiger Familienvater und Meister religiöser Sujets, geht man da gewiss auf Nummer Sicher. Janssen hat die Achse selbst vorgegeben, indem er sich immer wieder auf den Niederländer bezog. „Nach Ihm“, „In Seiner Manier“ hat er Porträtzeichnungen untertitelt – „Er“ großgeschrieben, so wie man das einst mit Gottvater machte.

Bei den Porträts, denen einer der beiden Ausstellungsräume gewidmet ist, fällt es allerdings schwer, direkte Analogien zu entdecken. Mit streberhafter Freude an der eigenen Virtuosität hat Janssen Rembrandt kopiert, hat sogar stockfleckiges Papier dafür aufgetrieben und dann – ätsch – einen Druck des Originals danebengeklebt. Doch für die moderne Erfahrung vom zerfallenden Ich, die Janssen in seinem Gesicht festhält, gibt es bei Rembrandt keine Entsprechung. Im Selbstversuch studiert der Niederländer verschiedene Gefühlsausdrücke, um sie später in seinen Gemälden aufzugreifen. Er lässt Licht und Schatten dramatisch auf seinem Gesicht spielen. Doch immer blickt einen eine intakte Person an, weit entfernt von Janssens Ego-Monstren.

Verblüffen können da viel eher die Landschaften, die im Dachgeschoss zu sehen sind. Hier ist zuweilen ein Blick auf das Schildchen angebracht: Janssen? Oder Rembrandt? Beide haben experimentiert mit Abstraktion, mit flächigen Strukturen statt dreidimensionaler Illusion. Und Janssens „Psychogramme in Form einer Landschaft“, wie van den Boogert im Katalog schreibt, deuten sich schon in Rembrandts absurd verstümmelten Kopfweiden an. In deren Schatten, wo der Meister das schwärzeste Schwarz erprobt, kauern verlorene Liebespaare und aus der Welt gefallene Heilige.

Die Ausstellung läuft bis 12. Mai.