Das Tal im Schatten des Todes

Von zwei verwandtschaftlich verbandelten Herrscherhäusern, die munter das Schöne und Prächtige inszenieren: Die Ausstellung „Macht und Freundschaft. Berlin – St. Petersburg 1800“ im Berliner Martin-Gropius-Bau. Napoleon hatte die Häuser geeint, der Krimkrieg wieder entzweit

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Es sind die kleinen Formate, die dieser buchstäblich großformatigen Ausstellung Sinn und Geist verleihen. Jene grobkörnigen und doch klar komponierten Fotografien etwa, die der Brite Roger Fenton 1855 auf der Halbinsel Krim aufgenommen hat. Die Bilder zeigen die Logistik und die Landschaft eines Krieges. Die Segelschiffe im Hafen, davor die Fracht, Kanonenkugeln, säuberlich zu Pyramiden getürmt. Auf einer weiteren Aufnahme dann eine namenlose Talsenke, in der die verschossenen Kanonenkugeln nun in Dutzenden liegen. „Valley of the Shadow of Death“, hat Fenton, gerne als erster Kriegsfotografen apostrophiert, dieses Foto genannt. Der Krimkrieg, in den eben keine preußischen Truppen aufbrachen, obwohl der Zar darum gebeten hatte, markiert den Endpunkt der deutsch-russischen Freundschaftsepoche, um die es geht.

Eine Fotografie also, dieses Medium einer aufbrechenden Moderne, und die Kanonenkugeln, dieses Medium des Mittelalters – man mag darin einen Beleg für jene Ungleichzeitigkeit finden, von der „Macht und Freundschaft. Berlin – St. Petersburg 1800–1860“ ungewollt erzählt. Von zwei verwandtschaftlich verbandelten Herrscherhäusern, die munter das Schöne und Prächtige inszenieren, die durch klassizistische Kulissen lustwandeln, während sich jenseits ihrer Bühnen die Zeiten wandeln. Der Siegeszug der Eisenbahn, die Formierung der modernen Naturwissenschaften, die emanzipatorischen Bürgerbewegungen, all das fällt in jene Zeit, an deren Milieus der Macht im Martin-Gropius-Bau erinnert wird.

Die historischen Bedingungen sind schnell erzählt. Zum einen war da Napoleon, dessen Expansionspolitik Preußen und Russland 1802 einen „Freundschaftsbund“ aufnötigte. Zum anderen war da Charlotte, Tochter von Königin Luise und König Friedrich Wilhelm III., die 1817 Nikolai Pawlowitsch, den späteren Zar Nikolaus I., ehelichte. Es soll durchaus eine Liebesheirat gewesen sein, davon ist Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, überzeugt.

Letztere verwaltet mit Karl Friedrich Schinkels Schloss Klein-Glienicke oder der auf Wunsch des Königs im „Styl russischer Kirchen“ errichteten Kirche St. Peter und Paul am Wannseeufer nicht nur das architektonische Erbe dieses Kulturkontakts. Auch die pikanter-, mindestens aber bemerkenswerterweise großzügig vom russischen Staatskonzern Gazprom unterstützte Ausstellung wurde von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten initiiert und gestaltet. Man machte, was man am besten kann: mit den eigenen Pfunden wuchern, dem Schinkel und den (Öl-)Schinken, der Architektur und der Kunst.

Mindestens das lässt sich über diese Epoche sagen: Sie ist in Schönheit gestorben – genauso wie sie nun im Gropius-Bau in Schönheit aufersteht. Gleich im Lichthof stehen etwa die beiden „Rossebändiger“ von Pjotr Clodt von Jürgensburg, monumentale Pferdeskulpturen, genauso naturalistisch wie expressiv. Zar Nikolaus hatte die beiden Abgüsse, die Erstgüsse stehen auf der Anitschkow-Brücke in St. Petersburg, seinem Schwager Friedrich Wilhelm IV. geschenkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie von der Ruine des Stadtschlosses vor das heutige Kammergericht in Berlin-Schöneberg transferiert und nun – mit Kran und Zentimetergenauigkeit – in den Gropius-Bau gewuchtet. Wenige Räume weiter hängt George Dawes überlebensgroßes Ölportrait des Nikolai Pawlowitsch, den der Begleittext „von lauter Fröhlichkeit“, doch ohne Humor und Sinn für Ironie, beschreibt. Gleich mehrfach begegnet man Karl Friedrich Schinkel, in Öl gemalt oder in Stein gehauen. Die zeitgenössischen Pläne und Entwurfsskizzen des Hof- und Berlinarchitekten sind ohnehin immer ein wohltemperiertes Vergnügen.

Eine Reproduktion von Adolph Menzels „Die Aufbahrung der Gefallenen der Märzrevolution“ gehört hingegen – neben einigen faszinierenden Architekturkritzeleien von Friedrich Wilhelm III. höchstselbst – zu den eingangs erwähnten Kleinformaten. Ganz alleine soll dieses Bild erzählen, was die Ausstellung für randläufig hält: Während sich der König russische Dörfer und italienische Klassik bauen ließ, revoltierte vor der Tür sein Volk.

Genug sei über Polenaufstand und Märzrevolution geforscht und ausgestellt worden, hieß es dazu auf der Pressekonferenz. Und doch bleibt gerade dies der blinde Fleck dieser Ausstellung, referiert „Macht und Freundschaft“ so nur über eine Epoche der überbordenden Ästhetisierung und Inszenierung. Am Ende dieser Zeit aber waren der russische Zar und das preußische Königshaus vom Zeitenlauf – Imperialismus, Bürgergesellschaft, Proletarierbewusstsein – überrumpelt worden. In ihren faszinierend schönen Fantasiewelten hatten Zar und König davon vielleicht zu wenig mitbekommen.

Bis 26. 5., Martin-Gropius-Bau, Berlin, Katalog (Koehler & Amelang) 29,90 €