Bassgitarre statt Mähdrescher

Am Osterwochenende spielten 25 Bands im Rahmen des „John Lennon Talent Award“ im Konzerthaus Grünspan in Hamburg. 15 von ihnen nehmen an einem Coaching teil . Als erster Preis lockt der Bass von Sting. Den „Superstar“ kriegt keiner von ihnen versprochen

„Viele Bands sind selbstzufrieden. Da möchte man am liebsten eine Handgranate rein werfen“

VON MATHIAS BECKER

Die mit den bunten Röhrenjeans zerren ihre Instrumente auf den matschigen Parkplatz hinterm Grünspan. Quietschend öffnet sich die schwere Metalltür und die vier 20-Jährigen betreten das legendäre Konzerthaus auf dem Hamburger Kiez durch den Hintereingang. Den Rockstar-Eingang. In fünf Minuten werden sie hier spielen, auf der Großen Freiheit.

Die mit den bunten Hosen heißen Jesper, Lennart, Pascal, und Hinnerk oder kurz „Ludvig van“. Und sie wollen „denen da draußen gleich die Ärsche wegpusten“, wie Sänger Jesper es ausdrückt. Licht und Sound sind professionell arrangiert. Einziger Haken des Auftritts: Die heiligen Hallen des Grünspan sind leer. Nur ein paar Techniker, Veranstalter und Juroren treiben sich in dem kalten Saal rum. Und ein Duft von Bier und Zigaretten verrät, was sich hier sonst abspielt.

Doch an diesem Osterwochenende gelten andere Spielregeln: An zwei Nachmittagen gehen 25 junge Bands auf die Bühne, jeweils 15 Minuten lang zeigen sie ihr Können. Statt einer Zugabe gibt es ein Feedback-Gespräch mit einer Jury. „Bandfactory“ nennt sich diese zweite Runde im „John Lennon Talent Award“ der Itzehoer Versicherung. Kurz: JLTA.

„Bei unserem Wettbewerb entscheiden lediglich Juroren darüber, wer weiterkommt“, sagt Rainer Lemke. Zu oft hat er schon erlebt, was passiert, wenn das Publikum Richter spielen darf. Die Talent-Shows werden zu Ticketverkaufswettbewerben: Wer mehr Leute mobilisieren kann, gewinnt. Seinem Lennon Award soll das nicht passieren.

Als Marketingleiter der Itzehoer Versicherung bekam Lemke 1991 die Aufgabe, den „Landwirtschaftlichen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ für junge Zielgruppen interessant zu machen. Die Rechnung war simpel: Seine Firma wollte ohne Mega-Etat weg vom Mähdrescher-Image. Bleibt Sponsoring im Bereich der „drei Ms“, also „Muskeln, Mode, Musik“. Das ist Marketing-Einmaleins. „Sport machen alle und Mode passte nicht zu uns“, sagt der 59-Jährige in der St. Pauli-Jacke. Die Idee eines Band-Awards war geboren und wurde von dem Musiker und Beatles-Freund Klaus Voormann ausgearbeitet. Ihm gelang es auch, der Lennon-Witwe Yoko Ono den berühmten Namen zum Nulltarif abzuschwatzen.

Alle zwei Jahre wird der Preis seither vergeben. Zunächst nur in Schleswig-Holstein, mittlerweile können sich Bands aus ganz Deutschland bewerben. Dieses Jahr waren es mehr als 1.300.

Ein paar Kabel müssen umgestöpselt werden, an ein paar Reglern wird gedreht. Sänger Jesper übt noch mal den Hüftschwung in der türkisen Jeans. Die seiner Bandkollegen sind blau, rot und grün. Dann legen „Ludvig van“ los. Als „Indie-Britpop“ beschreiben sie ihre Musik. Sie treibt nach vorne, stampfend, vertrakt. Nach wenigen Takten wippen erste Jurorenfüße mit. Später wird jemand einen Satz sagen, der mit „Ludvig van“ anfängt und mit „Franz Ferdinand“ aufhört.

Im anschließenden Jury-Gespräch auf roten Couches erzählen die Flensburger ein bisschen aus dem Bandleben, von dem sich ein Gutteil auf der Autobahn abspielt. 80 Konzerte haben sie im letzten Jahr gespielt. In ihrer Heimat Flensburg, in Rostock oder Augsburg. Einmal vor 400 Leuten, manchmal vor 15. Viele Konzertbuchungen laufen übers Internet. Klar hätten sie Bock drauf, wenn sich da noch mehr täte. Klar wollen sie auch noch Erfahrungen sammeln. Die weitere Teilnahme am JTLA käme ihnen da schon sehr gelegen. Sie nehmen die Sache aber auch selbst in die Hand: So zieht die Band in diesem Sommer kollektiv von der dänischen Grenze an die Elbe. „Flensburg haben wir totgespielt“, sagt Keyboarder Lennart.

„Entscheidend für die Auswahl ist, dass die Band schon relativ weit ist, aber eben noch nicht fertig in ihrer Entwicklung“, sagt Ulf Krüger, der von Rokko Schamoni bis Jürgen von der Lippe schon so ziemlich jeden produziert hat und die künstlerische Leitung beim JLTA übernimmt. Wenn eine Band total zufrieden mit sich selbst sei, werde sie irgendwann beratungsresistent, sagt Krüger. „Dann möchte man da am liebsten eine Handgranate in die Runde werfen.“

„Ludvig van“ überstehen das Couchgespräch ohne Schrammen. Doch ob sie zu den 15 Bands gehören, die weiterkommen, erfahren sie heute noch nicht. Erst werden alle gehört, dann wird entschieden. Und so gehen die vier bei Sonnenschein auf Hafenrundfahrt, während sich im dunklen Grünspan der Marathon zwischen Bühne und Couchgarnitur fortsetzt.

Sollten die Flensburger die Jury überzeugt haben, nehmen sie an drei Coaching-Wochenenden teil. Hier steht Unterricht an Instrumenten und Stimmen auf dem Programm. Der Einsatz des Körpers auf der Bühne wird anhand von Videoaufnahmen analysiert. Am Ende gehen zehn Bands auf „Roadshow“. Fünf spielen im Hamburger Docks, fünf im Kesselhaus in Berlin. Diesmal mit Publikum. Die nächste Runde bestreiten sechs Bands in der Münchner Muffathalle, ins Finale in der Traum GmbH in Kiel kommen die letzten vier Gruppen. Der erste Preis ist der Bass von Sting.

„Eigentlich geht es uns aber gar nicht darum, einen Sieger zu küren“, sagt Marketingleiter Lemke. Anders als viele andere Wettbewerbe wolle der JLTA eben kein mediales Strohfeuer inszenieren. Der Anspruch sei eher, junge Musiker über einen längeren Zeitraum in ihrer Entwicklung zu begleiten. Einen Gewinner gebe es eher aus dramaturgischen Gründen. „Nur gute Musik interessiert leider keinen“, sagt Lemke. „Also setzen wir beim Finale Rod von den Ärzten in die Jury und schon kommen die Leute. So einfach ist das.“ Diese Mechanismen zu kennen und zu nutzen, sei auch für die geförderten Bands wichtig, sagt er. Man wolle den Musikern keine Pappnasen aufsetzen, aber welche Wirkung ihre gestreiften Hemden hatten, habe zuletzt die Band Radiopilot, JLTA-Gewinner von 2005 / 2006, am eigenen Leib erfahren. Gestreifte Hemden machen eine gewöhnliche Band zwar nicht zu einer außergewöhnlichen. Aber sie können einer außergewöhnlichen auf dem Weg nach oben helfen. Das gleiche gilt sicher auch für bunte Röhrenjeans.