„Jede Hilfe wird gebraucht“

Die Neuköllner Bürgerstiftung ist eins der Projekte, derentwegen der Bezirk für das Programm „Interkulturelle Städte“ ausgewählt wurde. „Unser Leitbild ist der kulturelle Reichtum“, sagt Vorstandsvorsitzender Friedemann Walther

FRIEDEMANN WALTHER, Referatsleiter in der Senatskanzlei, ist Vorstandschef der Neuköllner Bürgerstiftung.

taz: Herr Walther, Ihre Stiftung bekam kürzlich Besuch von einer Delegation des Europarates. Was kam dabei heraus?

Friedemann Walther: An diesem Abend ist ein Funke übergesprungen. Ich glaube, die Gäste haben mitgenommen, dass es zwei Bilder von Neukölln gibt: auf der einen Seite das Problemviertel, auf der anderen Seite die Menschen, die etwas bewegen und Vorbild sind.

Ist Ihre Stiftung ein Vorbild? Was sind das für Menschen, die bei Ihnen mitmachen?

Die Neuköllner Bürgerstiftung ist die einzige Bürgerstiftung Deutschlands, die ganz bewusst einen multiethnischen Ansatz hat. Wir sind über 130 Stifter aus ungefähr 15 Herkunftsländern. Obwohl man die Zahl unserer Stifter eigentlich gar nicht so genau zählen kann: Wer Stifter werden will, muss entweder 500 Euro Kapital anlegen oder kann bei hohem Engagement als „Zeitstifter“ berufen werden. Aber aus der Evangelischen Schule haben 500 Schüler je einen Euro eingezahlt, da wurde der Schulförderverein als Träger Mitglied. Auch viele Verbände sind Mitglied, so das Türkisch-Deutsche Zentrum (TDZ) und das Arabische Kulturinstitut (AKI e. V.). Die haben zusammen mehrere 1.000 Mitglieder. Also eigentlich sind wir noch viel mehr.

Was machen Sie eigentlich?

Wir sind die erste Stadtteil-Bürgerstiftung in Deutschland, wir engagieren uns für diesen Bezirk. Wir loben jedes Jahr einen Grundschultheater- und einen Bürgerpreis aus. Damit unterstützen wir Neuköllner, die sich für die multiethnische Vielfalt in Neukölln einsetzen. Vor zwei Jahren begannen wir ein „Mentorenprojekt“, das inzwischen bei der Kepler-Schule läuft. Das ist ein Patenmodell, bei dem ungefähr 20 Jugendliche durch Erwachsene unterstützt werden.

Macht die Stiftung alles selber oder kommt auch Geld von außen: Wie steht es mit Ihren Finanzen?

Wer eine Stiftung gründen will, braucht mindestens 50.000 Euro Stiftungskapital. Inzwischen haben wir sogar 100.000 Euro, mit den Zinsen fördern wir Projekte, das sind ungefähr 3.000 bis 4.000 Euro im Jahr. Außerdem bekommen wir Spenden, jeden Sonntag verkauft eine Gruppe von Stiftern im Hof der Villa Rixdorf zugunsten der Bürgerstiftung Trödel. Manche Projekte werden auch von der EU gefördert, wie zum Beispiel das Mentorenprogramm.

Neukölln mit seinem schlechten Ruf und ein Projekt des Europarates: Wie passt das zusammen?

Neukölln hat große Probleme, besonders die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher. Umso wichtiger ist der Rückenwind aus Europa für Neukölln und diejenigen, die quer zu allen kulturellen und ethnischen Unterschieden zusammenarbeiten. Wir unterstützen sie. Dabei wird deutlich, dass man die kulturelle Vielfalt auch als etwas Positives sehen kann, als einen Startvorteil.

Glauben Sie wirklich, dass ehrenamtliches Engagement und ein Europa-Programm die Probleme des Bezirks lösen können?

Niemand macht sich Illusionen, wir kennen den Berg an Problemen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Jede Hilfe wird gebraucht, ob ehrenamtlich oder aus Europa. Man braucht ein positives Leitbild. Unseres ist der kulturelle Reichtum unseres Einwanderungsbezirks. INTERVIEW: ULRIKE HEITMÜLLER

www.neukoelln-plus.de