„Hugo Chávez irrt sich“

Die Guerilla-Bewegung Farc ist politisch verkommen. Ihre Gewaltakte haben nichts mit einem revolutionären Kampf zu tun. Die lateinamerikanische Linke muss sich von ihr distanzieren, sagt der kolumbianische Senator Gustavo Petro

GUSTAVO PETRO, 47, ist Senator der kolumbianischen Linkspartei Alternativer Demokratischer Pol und als Präsidentschaftskandidat für das Jahr 2010 im Gespräch. Durch seine Enthüllungen über die Verbindungen zwischen dem Regierungslager und den rechtsextremen Paramilitärs wurde der Ökonom letztes Jahr zum wichtigsten Gegenspieler von Präsident Álvaro Uribe im Parlament.

taz: Herr Petro, wie steht es um den „humanitären“ Austausch von Farc-Geiseln und inhaftierten Guerilleros in Kolumbien?

Gustavo Petro: Wir sind genauso weit wie vor sechs Jahren. Die Farc wollen, dass die Regierung Uribe ein Gebiet räumt, um darüber zu verhandeln, und die Regierung weigert sich. Präsident Álvaro Uribe verleiht den Farc so eine gewisse politische Legitimität und wird selbst im Volk populärer.

Die Farc behaupten, sie seien an Verhandlungen interessiert.

In dem Computer, den man bei ihnen beschlagnahmt hat, geben sie sich überzeugt davon, dass sie den Krieg gewinnen werden. „Frieden“ bedeutet für sie Verhandlungen, von denen sie sich in dieser Perspektive politische und militärische Gewinne versprechen. Sie manipulieren das Wort und die Sehnsucht der Kolumbianer, die ein Ende des Krieges wollen. Die Regierung ihrerseits will ganz explizit den Krieg gewinnen.

Vor Jahren hatten Sie eine sehr gute Beziehung zu Hugo Chávez. Wie steht es jetzt damit?

Als er von Uribe den Vermittlungsauftrag im August 2007 bekam, haben wir das letzte Mal miteinander geredet. Die Beziehungen zwischen der venezolanischen Regierung und der demokratischen Linken in Kolumbien sind abgebrochen. Man hat unsere Ansichten einfach nicht berücksichtigt.

Schätzt Chávez die Lage in Kolumbien richtig ein?

Nein, über die Farc irrt er – und er hat dafür gesorgt, dass Uribe in Kolumbien immer populärer wurde. Die USA haben versucht, ihre Militärhilfe aufzustocken, und jetzt läuft eine Offensive im Kongress für ein Freihandelsabkommen.

Warum liegt Hugo Chávez daneben?

Manche Linke glauben, dass die Farc ein revolutionäres Projekt sind, denn sie kennen deren Geschichte nicht.

Wie das?

Es gibt eine 60-jährige Geschichte der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens: Anfangs waren sie liberale Sektierer, dann, Mitte der Sechzigerjahre, begann die „linke“ Phase, in der sie sich nicht mehr an den Liberalen, sondern an den Kommunisten orientieren und sich den Namen „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ gaben. Der Zusammenbruch der Sowjetmacht entzog den Farc den internationalen Rückhalt. 1993 trafen sie die Entscheidung, die meiner Meinung nach zutiefst verkehrt war: Sie setzten den bewaffneten Kampf gegen die Verfassung fort und entfernten die Kommunistische Partei aus ihrer Bewegung. Sie fingen an, sich durch die Drogen zu finanzieren, zunächst über die Kokablätter, dann über andere Phasen der Kokainproduktion, und heute exportieren sie Kokain.

Welche Folgen hatte das?

Mit diesem Geld haben sie sich militärisch so gestärkt, dass sie dem Heer bis 1998 ernsthafte Niederlagen zufügten, aber gleichzeitig sind sie politisch so auf den Hund gekommen, dass ihnen das Leben einer Frau wie Ingrid Betancourt egal zu sein scheint.

Hugo Chávez sagt immer wieder, der „humanitäre Austausch“ könnte ein Schritt zu Friedensverhandlungen sein.

Das ist nicht dasselbe. Der Gefangenenaustausch zwischen Israelis und Palästinensern ist nur eine Episode zur Humanisierung des Krieges. Auch wenn durch einen Austausch Vertrauen geschaffen werden kann, führt ein Schritt nicht zwingend zum nächsten. Es ist viel komplexer, einen Krieg zu beenden.

Ist es möglich, die Farc militärisch zu besiegen?

Das glaube ich nicht. Die Landkonzentration hat in den letzten 20 Jahren zugenommen, weil Drogenhändler vorzugsweise durch den Kauf von Ländereien Geldwäsche betreiben. Auf dem Land wohnen 15 Millionen Menschen, doch nur 10.000 von ihnen besitzen 62 Prozent des Ackerlandes. Der Drogenhandel ist der Brennstoff für Paramilitärs wie für die Farc. Notwendig wären Reformen, die den Drogenhandel eindämmen und den Landbesitz demokratisieren, die Politik und Macht vom Drogenhandel trennen – doch das hat die Regierung nicht geplant.

Und welche Rolle spielt das internationale Umfeld?

Besonders wichtig wäre natürlich ein politischer Wandel in den USA. Auch die Demokratisierung Lateinamerikas ist ein Szenario, das viele Kolumbianer an friedliche Wege denken lässt. Der lateinamerikanischen Linken muss hingegen ganz klar sein: Jede Unterstützung der Farc verlängert den Krieg in Kolumbien.

Ist diese Position Ihrer Partei nicht Konsens?

Wo die Farc sind, kommen wir in der Regel nicht hinein. Im „Forum von São Paulo“, einem Zusammenschluss von Linksparteien, haben wir zusammen mit der brasilianischen Arbeiterpartei PT erreicht, dass die Farc nicht mehr kommen. Der PT ist klarer, was die Farc für Kolumbien bedeuten, als etwa er venezolanischen Regierung.

INTERVIEW: GERHARD DILGER