Bewegte Hirne, befreite Körper

Schmerzen und Stress vermeiden, Gelenkschmerzen lindern oder beweglicher werden: Feldenkrais hilft vielseitig. Babys lernen von der Methode fürs Leben, Sportler für ihre Gesundheit. Und in jedem Alter optimiert Feldenkrais Bewegungsmuster

Vom 19. bis 27. April 2008 findet die 3. Berliner Feldenkrais-Woche statt. Während dieser Zeit geben Trainer Einführungen in die Körperarbeit, darunter Kurse, um Schulter und Nacken zu entkrampfen, um Lauftraining und Nordic Walking zu verbessern und Atmung und Stimme zu stärken. Wer an einer Übungsstunde teilnehmen möchte, muss sich vorher anmelden, da die Kapazitäten begrenzt sind. Ein Wochenticket für alle Veranstaltungen kostet 5 Euro und ist bei den Kursveranstaltern erhältlich.

Am Sonntag, 27. April 2008 um 14.30 Uhr läuft zudem der Dokumentarfilm „Am seidenen Faden“. Er zeigt das Schicksal der Musikers Boris Baberkoff, der einen Schlaganfall erlitt und mit Feldenkrais wieder gesund wurde. Ort: Kino fsk am Oranienplatz, Eintritt 5 Euro.

Zum Auftakt der Feldenkrais-Woche findet am 19. März 2008 von 14 bis 19 Uhr ein Aktionstag in der Alten Feuerwache (Axel-Springer-Str. 40/41, 10969 Berlin-Kreuzberg) statt. Eintritt frei.

Alle Informationen zum Programm der Feldenkrais-Woche im Internet unter www.feldenkraisinfo-berlin.de

VON JANET WEISHART

Genüsslich lutscht die einjährige Marthe an ihren Zehen. Dabei schaukelt sie nach rechts und lacht. Mit ihr quietschen fünf andere Babys im Feldenkrais-Kurs von Ulrike Wortmann. Sie beobachtet die Kleinen erst mal nur, und die Eltern tun es ihr gleich. Denn hier geht es nicht um eine möglichst frühe Förderung, sondern ums Verstehen individueller Bewegungen. Und so schaut Marthes Mama gemäß dem Stundenthema „Rückenlage“, was ihre Kleine mit dem Köpfchen anstellt und wie sie Arme und Beine koordiniert.

Feldenkrais-Lehrerin Wortmann möchte Eltern in den Übungsstunden bei Problemen wie einer Schieflage helfen und sie weg von Baby-Ratgebern und Stereotypen führen. „Ich will den Freiraum für Individualität deutlich machen“, sagt die Sozialpädagogin. Viel zu früh werde die Bewegungsentwicklung eingeschränkt, sind Kinder zum Beispiel nur Rechtshänder, rollen sich nur über eine Seite oder hüpfen bevorzugt nur mit dem linken Bein. „Dabei gibt es so viele Bewegungsmöglichkeiten, etwa um vom Rücken auf den Bauch zu gelangen“, sagt Wortmann.

Das trifft das Anliegen von Begründer Moshé Feldenkrais: Eingefahrene Bewegungs- und Reaktionsmuster verändern, indem sich Menschen ihrer Haltung und Bewegung bewusst werden. Für Babys heißt das: Sie dürfen und sollen alles ausprobieren. Für Eltern: die Kinder nicht einschränken, sondern mit ihnen kommunizieren. Aber auch eingreifen, damit die Bewegung nie einseitig wird. Darum dürfen auch die Erzieher alles ausprobieren und bekommen Tipps zum Tragen und Heben. Bewegungsfreiheit nach Feldenkrais zu lernen kann für Babys von Vorteil sein. Sie sind oft geschickter, beweglicher, dynamischer. Zum Beispiel können die Kinder später beim Skifahren eine Linkskurve ebenso gut bewältigen wie eine Rechtskurve – denn beide Seiten wurden gleichsam trainiert. Doch keine Sorge, das funktioniert auch im fortgeschrittenen Alter noch. Das Gehirn ist nämlich lebenslang mit Bewegung beschäftigt.

Bewegungen sind selbstverständlich, trotzdem kommen besonders Sportler an ihre Grenzen, oft ihre Schmerzgrenzen. „Rückenschmerzen, Steifheit, Verspannungen, Krämpfe – darüber klagen Teilnehmer“, erzählt Ellen Engelkamp. Die Pädagogin und Reiterin verhilft Pferdenarren in Wochenendkursen zu einem neuen Körper- und Reitgefühl. „Sich und das Pferd spüren lernen“, ist eine Maxime. „Ideen statt Anweisungen geben“, eine andere. Doch wer meint, dass nun zehn Reiter durch den Wald traben, wird überrascht. Hier bleiben alle auf dem Boden. Zu Beginn spüren sie beispielsweise erst einmal ihre Gelenke durch. „Mit der Feldenkrais-Methode denken wir uns die Hüftgelenke butterweich. Dies und alle anderen Übungen können die Teilnehmer später auch auf dem Pferd trainieren.“

Engelkamp lässt die Reiter auf dem Trampolin springen oder auf Eibällen rollen. Was das bringt, erklärt Bernhard Mumm, Mitinitiator der Berliner Feldenkrais-Woche: „Ungewöhnliche Bewegungen aktivieren das Gehirn. Wer sich also bewusst bewegt, arbeitet unmittelbar mit dem Gehirn.“ Durch das Spielen mit verschiedenen Bewegungen und ihren Variationen können sich Sensibilität und Bewusstheit verbessern und neue Handlungsmöglichkeiten entstehen.

Schmerzen beseitigen und die Gelenke schonen – das wollen rund zwei Drittel der Erwachsenen in Feldenkrais-Seminaren. Und sie gelingt ihnen. „Ich laufe jetzt leichter und verkrampfe nicht mehr“, berichtete ein Marathonläufer nach der Feldenkrais-Laufschule bei Torsten Strauß. Er bestätigt damit die Stiftung Warentest, die Studien verglich und zu dem Schluss kam: „Die Methode wirkt beim Abbau von Stress, der Verbesserung der Balance bei Multiple-Sklerose-Patienten sowie der Verminderung von Rücken- und Nackenschmerzen.“ Offiziell erkannte auch die Krankenkasse Securvita Feldenkrais als Präventionsmethode an.

Vorbeugen statt heilen – das ist besonders beim Joggen wichtig. Immerhin verletzen sich 70 Prozent der laut Leichtathletikverband etwa eine Million Läufer jährlich einmal Knochen, Gelenke oder Muskeln. Sie sollten darum Bewegungsgewohnheiten erkennen und verändern. Physiotherapeut Torsten Strauß geht dafür ungewohnte Wege: „90 Prozent der Zeit liegen meine Seminarbesucher auf Rücken, Hüfte und Bauch. Alle machen sozusagen eine Zeitreise ins Babyalter und lernen das Laufen neu – aber viel bewusster und dem Alter angepasster.“ Lauflehrer Strauß erklärt, dass viele mit einem zu hohem Kraftaufwand, also unökonomisch joggen und sich selbst behindern. Die Feldenkrais-Übungen auf dem Boden sollen Sicherheit vermitteln und den Körper ohne Schwerkraft anders und besser erleben lassen. Nach den Lektionen spüren die Läufer das Erlernte im Stehen nach. Gehen vorwärts, rückwärts und finden schnell ihr neues Bewegungsmuster, mit dem sie nicht schneller, aber ohne Schmerz ans Ziel kommen.