Einzelkämpfer auf dem Klinikmarkt

Anfang der 70er-Jahre: Der Hamburger Abiturient Timm Schlotfeldt möchte Kunst studieren. Aber nach einem Praktikum in der Urologie eines Krankenhauses entscheidet er sich doch, Medizin zu studieren. Er wird Gynäkologe.

1996: Timm Schlotfeldt eröffnet mit seinen beiden Kollegen Kay Friedrichs und Eckhard Goepel im Hamburger Krankenhaus Jerusalem das „Mammazentrum“. Die Gemeinschaftspraxis ist spezialisiert auf die Behandlung von Brustkrebspatientinnen, sie wird zu einem der größten Brustkrebszentren in Deutschland.

Herbst 2007: Bevor es ein großer Konzern tut, kaufen die drei Ärzte gemeinsam die ganze Klinik. ESP

AUS HAMBURG ELKE SPANNER

Den Begriff closing dinner hatte Timm Schlotfeldt nie zuvor gehört. Er dachte bis dahin, Geschäfte seien in dem Moment besiegelt, in dem alle Verhandlungspartner beim Notar ihre Unterschrift geleistet haben. Genau genommen war er nicht einmal auf die Idee gekommen, mit einem Glas Sekt anzustoßen, als er endlich Besitzer des Krankenhauses wurde. Er ist einfach vom Notar in seine Praxis gefahren, auf der Straße war Stau. Dann hat er den hellgrünen Kittel übergestreift, die Hände desinfiziert und zum OP-Besteck gegriffen.

Inzwischen hat er von dem Brauch gehört, sich nach geglücktem Geschäft mit den Partnern zum abschließenden Abendessen zu treffen. Doch, doch, beteuert er, natürlich werde das noch nachgeholt. Ein schuldbewusstes Gesicht gelingt ihm dabei nicht.

Mit den Gepflogenheiten unter Geschäftsleuten muss der 52-Jährige sich erst langsam vertraut machen. Schlotfeldt ist eigentlich Arzt. Niemals hätte er gedacht, dass ihm eines Tages ein Krankenhaus gehören würde. Als Jugendlicher wollte er noch Kunst studieren. Schlotfeldt stammt aus einer Künstlerfamilie, Größen wie der Grafiker Horst Janssen waren in seinem Elternhaus zu Gast. Dann wurde es zwar die Medizin, aber nicht, weil er damit so etwas wie Karriere verband. Er hatte ein Praktikum in der Urologie gemacht, jeder Handgriff dort erschien ihm sinnvoll, eine beeindruckende Erfahrung. Jetzt ist er Unternehmer. Im Grunde aber, lacht er, gehöre ihm das Krankenhaus gar nicht richtig: „Das gehört alles der Bank.“ Es klingt, als wolle er sich selbst beruhigen.

Schlotfeldt ist ein Hanseat im klassischen Stil. An diesem Morgen trägt er einen beigen Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt, darunter ein hellrosa Hemd. Die Brille mit den runden Gläsern ist goldumrandet, vom Kleidungsstil her würde er nicht auffallen in seiner neuen Welt der Unternehmer. Doch mit solch einer Bemerkung könnte man ihn auch beleidigen.

Würde man Schlotfeldt nicht auf Kosten, Bilanzen und Entwicklungspläne ansprechen, er selbst würde es niemals tun. Lieber schwärmt er vom neuen Logo, das die Klinik Jerusalem künftig repräsentieren soll, und bei dessen Gestaltung er eng mit dem Grafiker zusammengearbeitet hat. Begeistert erzählt er von der Farbe, die an alle Wände kommt, und dem Lichtkonzept, das ihn überzeugt hat. Er sitzt an seinem Schreibtisch im Jerusalem, Mammazentrum, oberster Stock. Seit zwölf Jahren betreibt er mit zwei Kollegen die Praxis, die sich auf die Behandlung von Brustkrebspatientinnen spezialisiert hat. Der Weg dort hinauf führt durch ein klassisches Krankenhaus, mit langen Fluren und Linoleumböden. Das Mammazentrum selbst gehört zu jenen modernen Praxen, denen man die medizinische Einrichtung erst ansieht, wenn man im Behandlungszimmer steht. Die Räume sind in warmen Farben gehalten, an den Wänden hängen Bilder. „So freundlich“, sagt Schlotfeldt, „soll bald die ganze Klinik sein.“

Bis vor wenigen Monaten sah es noch so aus, als habe die kleine Klinik in Hamburg-Eimsbüttel gar keine Zukunft mehr. Das Haus ist seit Jahren defizitär. Der bisherige Träger, das Diakonie-Klinikum, vermochte den Laden nicht mehr nach vorne zu bringen. Investoren kamen und gingen, es sah mehr nach Konkurs als nach frischer Wandfarbe und modernem Logo aus. Andere Hamburger Kliniken klopften bereits bei Schlotfeldt und seinen Kollegen Eckhard Goepel und Kay Friedrich an und fragten, ob sie mit ihrem renommierten Mammazentrum nicht zu ihnen umziehen wollten. Die drei lehnten ab.

Irgendwann aber wurde klar, dass es keinen Sinn mehr haben würde, auf einen Retter für das Jerusalem zu warten. Schlotfeldt weiß selbst nicht mehr genau, wie die Idee eigentlich aufkam, aber sie war plötzlich da. Die drei als Krankenhausunternehmer? Das klang absurd. Aber jemand musste es schließlich tun. Das Mammazentrum leiteten sie bereits, parallel betrieben sie zusammen eine gynäkologische Praxis im feinen Harvestehude, klassische Hamburger Adresse. Letztlich war es nur eine Frage der Größenordnung, sie zogen einen Kaufmann zu ihren Beratungen hinzu. Anfang September unterschrieben sie beim Notar den Vertrag.

Seither hat Schlotfeldt ein Problem. Das Problem lautet, dass er nicht mehr nur Arzt, sondern Unternehmer und Chef der rund 60 Klinikbediensteten ist. Das müsste man nicht zwangsläufig als Last empfinden, aber Schlotfeldt wollte eigentlich niemals Chef werden. Als er noch Oberarzt in der Hamburger Uniklinik war, reichte er die Kündigung ein, als die Beförderung zum Chefarzt in die Nähe rückte. Er machte lieber zusammen mit Goepel und Friedrich die eigene Praxis auf, als seine Zeit in Verwaltungssitzungen, mit Aufsichtsräten und kaufmännischen Geschäftsführern verbringen zu müssen. Jetzt hat er genau das, und doch, sagt er, sei alles anders: „Es gibt hier keinen Verwaltungsdirektor, der uns sagt, was zu tun und zu lassen ist. Wir sind ein arztgesteuertes Krankenhaus“.

Schlotfeldt spricht leise, aber schnell. Manchmal verschluckt er einzelne Silben eines Wortes, so viel hat er zu erzählen. Gerade, als es um die Vorteile eines solchen arztgesteuerten Krankenhauses geht. Wenn er die beschreibt, klingt es, als müsste dieses Modell eine Selbstverständlichkeit sein: Es gibt nur eine überschaubare Anzahl an Patienten, deren Namen kennt das ganze Personal. In einem kleinen Haus weiß ein Kollege, was der andere tut. Es ist weniger hektisch als in einer großen Klinik, auch die Kranken finden mehr zur Ruhe. Zwischen Arzt und Patientin sind nicht noch andere Mediziner unterschiedlicher Hierarchiestufen geschaltet, deshalb ist so etwas wie Nähe möglich. Gerade Krebspatientinnen sind großer psychischer Belastung ausgesetzt. Um sie, sagt Schlotfeldt, sei immer „relativ viel Mensch herum“, der Partner, die Kinder. „Die sollen sich hier aufgehoben fühlen.“ In einem großen Haus seien die Abläufe sehr schematisiert, „wenn da kein Arzt Zeit zum Gespräch hat, macht ihnen das zusätzlich Angst“.

Das Modell ist aber keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil: Auf dem deutschen Gesundheitsmarkt setzen sich immer mehr große Klinikketten durch. Wirtschaftsunternehmen, die Krankenhäuser betreiben wie andere Bankfilialen oder Produktionshallen für Autos. Die Asklepios GmbH beispielsweise, die Helios-Kliniken, die Damp-Gruppe. Gerade in Hamburg, wo Schlotfeldts kleine Backsteinhausklinik steht, sind seit dem Einzug der Asklepios-Gruppe fast alle Häuser in der Hand großer Unternehmen. „Das sind Behörden“, sagt Schlotfeldt. „In der Uniklinik bin ich schon mal in der Teppichkammer gelandet, als ich einen Chefarzt sprechen wollte.“

Schlotfeldt hat jetzt ein Problem: Er ist nicht mehr nur Arzt, sondern auch Unternehmer und Chef

Das Jerusalem, 1913 erbaut, gehört zu den traditionsreichsten Krankenhäusern in Hamburg. Aus dem Fenster blickt man auf eine benachbarte Kirche, an der Frontseite, über dem Hauptportal, gibt es einen breiten Balkon. „Das ist doch ein hübsches Häuschen, oder?“ Bislang war die kleine Klinik ein medizinischer Gemischtwarenladen: Es gab von jedem etwas. Nun soll das Krankenhaus zu einem modernen Spezialzentrum ausgebaut werden. Neben dem Mammazentrum, das erweitert wird, bleiben die Orthopädie, die Kinder-HNO und die Proktologie. Mit der Größe ihres Hauses schwimmen Schlotfeldt und Kollegen gegen den Strom, ihr Konzept aber ist hochmodern.

Auf dem Klinikmarkt geht der Trend hin zu „Organzentren“, zu hochspezialisierten Abteilungen, in denen genau definierte Krankheitsbilder behandelt werden. Gerade für Krebserkrankungen fordern die Fachgesellschaften, dass sich Ärzte auf bestimmte Organe konzentrieren sollen. Studien haben gezeigt, dass die Überlebenschancen der Patienten steigt, je mehr vergleichbare Operationen eine Institution durchgeführt hat. Tumore an der Brust dürfen den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses (GBA) aus Krankenhäusern, Krankenkassen und Ärzteschaft zufolge nur noch in Kliniken operiert werden, die pro Jahr mindestens 150 solcher Eingriffe vornehmen, wobei die Chirurgen mindestens 50 der Operationen selbst durchführen müssen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise, erzählt Schlotfeldt, scheiterten rund 80 Prozent aller Kliniken an dieser Hürde. In seinem kleinen Mammazentrum wurden alleine im letzten Jahr an die 600 Brustoperationen durchgeführt.

Im Leben von Schlotfeldt hat sich schon einiges geändert, seit er Krankenhausunternehmer ist. Die Geschäftsessen sind da eher ein positives Beispiel. Er sei nun nicht mehr everybodies darling, „es müssen Entscheidungen getroffen werden, und ich muss auch mal nein sagen können“. Bei der Sache mit der Küche zum Beispiel. Fünfzehn Mitarbeiter waren dort bisher angestellt, „das geht doch nicht“. Schlotfeldt nimmt kurz die Brille ab, mit der Rechten massiert er die Stirn über der Nasenwurzel, dann blickt er wieder hoch. „Wirklich nicht.“

Er steht auf, gibt seinen Assistentinnen am Empfang letzte Anweisungen und eilt zum Auto, um in seine Harvestehuder Praxis zu fahren. Am Abend wird er wieder ins Jerusalem zurückkommen, er hat noch etwas vor. Schlotfeldt wird in den Keller des Krankenhauses gehen. Wo andere Kliniken Lagerräume und Wäschereien haben, hat er einen Übungsraum für Musikbands eingerichtet. Der Chef selbst spielt Gitarre, mehrere Pfleger aus dem Haus sind als Sänger und Schlagzeuger dabei. Mit dem Kunststudium ist es zwar nichts geworden. Seine musische Ader aber hat auch im Leben des Arztes und Unternehmers noch Raum. Selbst das Operieren, sagt Schlotfeldt, sei für ihn irgendwie Kunst. „Ich will das schön hinbekommen.“