die taz vor zehn jahren über das lange ende der ära kohl und den euro
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Als der Redner sein Plädoyer für die Einführung des Euro beendet hatte, erhoben sich alle Fraktionen und spendeten anhaltenden Applaus, der nicht nur der Rede, sondern einem Lebenswerk galt, das in der Einführung des Euro seinen krönenden Abschluß fand. Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth dankte mit Tränen in den Augen.

So oder ähnlich hätten die gestrigen Ausführungen Helmut Kohls gewürdigt werden können, so wurde die letzte Rede Hans-Dietrich Genschers vor dem Bundestag gefeiert. Der Zyklus eines politischen Lebens hat sich für beide mit dem Beschluß zur Einführung der Währungsunion vollendet. Die EU ist damit nicht mehr revidierbar, was jetzt folgt, ist der schwierige Prozeß der Angleichung der Lebensverhältnisse. Der feine Unterschied ist nur: Genscher hat um diesen Umstand gewußt und sich rechtzeitig verabschiedet. Er hat das hingelegt, was man einen starken Abgang nennt. Helmut Kohl hingegen hat ihn verpaßt. Getrieben von dem Gefühl der Unersetzbarkeit, das noch einen jeden zur Selbstüberschätzung verleitete, macht er weiter. Dabei hat er keine historische Aufgabe mehr, die es noch zu erfüllen gälte, kein bedeutsames Projekt, das er noch zu benennen vermag. Der einst als Provinzpolitiker begann, hat sich zum Staatsmann gemausert und gilt nun als ein Europäer von Format. Doch auf die Herausforderung der Globalisierung weiß er keine Antwort. Schlimmer noch, er vermag sie nur in den Begriffen von gestern zu erfassen. Er wolle es noch einmal wissen, so lautet die Kohlsche Begründung für eine weitere Legislaturperiode nunmehr zielloser Umtriebigkeit. Dabei müßte er mittlerweile wissen, daß seine Uhr abgelaufen ist. Die CDU gleicht einem einst blühenden Unternehmen, das den Anschluß an die neuen Produktionslinien verpaßt hat, weil es noch immer als Familienbetrieb geführt wird. Gedrückte Stimmung in allen Abteilungen, doch keiner, der sich traut, dem Seniorchef zu sagen, daß er aufs Altenteil gehen soll. Dieter Rulff, taz 24. 4. 1998