die taz vor 19 jahren über akteneinsichtsrecht für patienten
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Seit Jahren kämpfen die unfreiwillig hinter den Mauern der Psychiatrie Gelandeten um ein Stück minimaler Selbstbestimmung. Wenn sie schon kein Anrecht auf Mitbestimmung über die Art ihrer Behandlung und Betreuung haben, so fordern sie zumindest diese eine Selbstverständlichkeit: Informationen über sich selbst, über ärztliche Diagnose und Therapie, über die häufig so schwer nachvollziehbaren Wege, die sie in eine hilflose Lage gebracht haben. Mit fadenscheinigen Gründen und angeblich „zum Wohle“ des Patienten halten Weißkittel und Bürokraten bisher hartnäckig die Aktendeckel der Psychiatrie verschlossen.

Jetzt, nach jahrelangem Rechtsstreit, mußte erst das Bundesverwaltungsgericht den Ärzten und Therapeuten überdeutlich ins Stammbuch schreiben, daß selbstverständliche Menschenrechte nicht vor den hohen Zäunen der peinlich verschwiegenen „Irrenhäuser“, „Klappsmühlen“ oder „Anstalten“ haltmachen dürfen. Auch Psychiatrie-Patienten haben das Recht auf eigene Entscheidungen, und sie verfügen - allen therapeutischen Betreuungsphantasien zum Trotz - auch über das Recht, sich dabei möglicherweise selbst zu schaden.

Daß dies erst ein Gericht festschreiben mußte, wirft ein bezeichnendes Licht auf das paternalistische Verständnis einer Psychiatrie, nach dem die „Kranken“ geschont und vor eigenen Entschlüssen bewahrt werden müssen, die Patienten nicht als Handelnde, sondern als Behandelte wahrgenommen werden, als Entmündigte, denen man wie Kindern zu ihrem vermeintlichen Schutz nicht die Wahrheit sagt. Hinter diesem Bild der eigenen Überlegenheit vermauert sich das Gros der psychiatrischen Einrichtungen. Die Geheimdiplomatie um Patientenakten sichert die Macht der „Experten“. Denn als Experte für das eigene Wohl gilt nach dem gängigen Verständnis niemals derjenige, der einmal als Psychiatrie -Patient abgestempelt worden ist.

taz, 28. 4. 1989, Vera Gaserow