Jenseits des Bonus-Levels

Das finnische Duo Desert Planet zündet aus dem Schrott des multimedialen Zeitalters ein klangliches Feuerwerk. Vom virtuellen Band-Projekt haben sie den Sprung zu einem gefragten Live-Act der Electro-Szene geschafft

Die Winter am Polarkreis in Lappland sind kalt. Selten klettern die Temperaturen über den Gefrierpunkt. In der Saison 2001/02 war aber selbst für die an Väterchen Frost gewöhnten Lappen der absolute Tiefpunkt erreicht. Nur Jukka Tarkiainen und Jari Mikkola konnte die arktische Wetterlage nichts anhaben. Die beiden Studenten schürten an der Universität Rovaniemi, in der Hauptstadt Lapplands, ein elektronisches Lagerfeuer. Sie stellten ihren Track „Return of the Ninja Droids“ zum kostenlosen Download auf den Uniserver. Binnen weniger Stunden wurde aus dem Feuer ein Flächenbrand. Mehr als 60.000 Menschen luden die Musik herunter, bis der Server abrauchte.

So beginnt die Bandgeschichte von Desert Planet, wie sich das Duo Tarkiainen und Mikkola fortan nannte. Eigentlich wollten die beiden der Welt einfach nur ihre Verbundenheit mit der Musik aus dem Commodore C-64-Computer und den Chiptunes von „Super-Mario“ zeigen. Der Gag wurde durch das Internet rasend schnell weitergetragen und sie beschlossen, mit den blinkenden Tönen und matschigen Synthiemelodien aus den alten Konsolen neue Songs zu schreiben.

Inzwischen haben Desert Planet sechs Alben veröffentlicht – „Moon Rocks“, das neueste Werk erschien vor wenigen Wochen auf dem Fürther Indielabel 9 PM –, wurden von der Kulturbehörde Lapplands als Botschafter ihrer Region ausgezeichnet und gestalteten sogar den Soundtrack der kanadischen TV-Kultserie „Foodjammers“. Vor allem gelingt Desert Planet das Kunststück, ihre Sounds ohne Reibungsverluste auf die Bühne zu bringen. Sie nennen ihre Live-Performance „Donkey Kong Honky Tonk“ und brennen ein hyperkinetisches Feuerwerk ab. Mit Granny-Smith-grünen Motorradhelmen und Asbestanzügen fuchteln die beiden Finnen, unterstützt von VJ Antti Hovila, als scheinbar steuerungslose Videospielfiguren auf der Bühne herum, als wären sie jenseits des Bonus-Levels von ihrer eigenen Fingerfertigkeit besoffen geworden. Das Publikum ballt dazu die Fäuste, berserkt oder drückt mit beiden Daumen die imaginären Joy Sticks. Mit „Breakout Button“ haben die Finnen dieser zwischenmenschlichen Grenzerfahrung auch eine Hymne geschrieben. Die Musik von Desert Planet ist Trash im Wortsinn. Das Cover von „Moonrocks“ ziert ein Gerätegesicht. Eine Steckdose ist der Mund, die Augen bestehen aus den Spulen einer Videocassette. Aber Desert Planet zitieren den Schrott des multimedialen Zeitalters nicht nur, sie beschleunigen ihn auf nie gekannte Geschwindigkeit hoch. Ohne einen Hauch Funk und bar jeden Grooves wird geholzt, als gelte es, bis morgen Früh um vier eine Lastwagenladung Kiefern nach Karelien zu fahren. Das ist Pogo, kein Boogie. Das Klanggeheimnis dieser Musik liegt in den Mitten: Sie werden militant breitgewalzt, klingen so auch richtig bösartig und geben der Comic-Düsternis den richtigen Tarnanstrich. Besonders bemerkbar macht sich das in den Coverversionen: Das „Blade Runner“-Thema von Vangelis wird in den Händen von Desert Planet zu einem Klangmeteorit, dem man nur noch mit dem Ausknopf Einhalt gebieten kann. Aber Desert Planet sind doch nie so ganz zu fassen, als „Phantoms of the Digital Dump“ (Songtitel) treiben sie ihr Unwesen. Morgen schon könnten sie vergessen sein, für heute aber eine ganz dringende Empfehlung, denn es ist ja nicht ewig Zeit. JULIAN WEBER

Desert Planet, heute, 21 Uhr im Kaffee Burger; 3. 5.: Präsentation ihrer Videoarbeiten, Galerie Tristesse