Tanzen, schwatzen, trinken, lieben

Walpurgisnacht kann mehr sein als esoterischer Hokuspokus, vor allem dort, wo Goethe sie dereinst ansiedelte: im Harz. Hier ist die Nacht zum 1. Mai Weiberfastnacht, Schützenfest und Gedenktag in einem – ein Remmidemmi, wie es der Harz wohl sonst nie erlebt und sich auch nicht erklären kann

Das Publikum ist teils verkleidet und sieht teils nur so aus. Den befürchteten Satanismus findet man in Hahnenklee nicht

VON JESSICA RICCÒ

Mit der Walpurgisnacht ist es ja so eine Sache: Um nicht als beknackter Esoteriker abgestempelt zu werden, muss man eigentlich schon Harzer sein, wenn man mit der Hexenparty was anfangen möchte.

Zwischen Goslar und Braunlage ist es Ende April nicht Brauch, Maibäume zu pflanzen – hier geht man in die Vollen, baut Strohhexen und verbrennt die garstigen Puppen direkt auf einem Scheiterhaufen. Walpurgisnacht, das heitere Fest der Schadenfreude über historische Foltermethoden.

Hahnenklee ist so ein Ort im Harz. Das Dörfchen liegt lediglich drei Kilometer von Goslar entfernt – theoretisch. Praktisch knäulen sich diese drei Kilometer Luftlinie auf etwa 30 Minuten Fahrt zusammen – durch einen Märchenwald über eine Straße voll von deplazierten, lahmen Treckern und Blitzampeln. Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht, um uns beliebig hieselbst zu isolieren. Wusste bereits Goethes Faust.

Heute hängt schon am Hahnenkleer Ortseingang die erste Strohhexe und auch die Einwohner haben sich zum Teil als Teufel und Hexe verkleidet. „Das ist hier auch ein bißchen wie Weiberfastnacht.“, erklärt die Bäckerin Jana. Sie arbeitet zwar in Hahnenklee, muss abends aber nach Goslar. „Heute ist das ja nicht schwer“, sagt sie. „Da fährt mich irgendein Teufel.“

Hahnenklee selbst besteht aus einer kleinen Straße, einem kleinen See, einer kleinen Holzkirche und einigen wenigen kleinen, alten Menschen. Für Cowboy-

stiefel und ein Geburtsdatum nach 1970 wird man bereits kritisch beäugt. Selbst wenn der Harz das Zentrum von Walpurgisnacht, Hexen und Waldmeister ist – an diesem Ort kann man doch nicht feiern.

Aber das täuscht. Ab dem späten Nachmittag braut sich etwas zusammen am Fuße des Bocksbergs: Touristen. Tatsächlich werden am frühen Abend ganze Busse angekarrt: Aus Halle, aus Hannover, aus den Niederlanden. Nicht, weil Hahnenklee so super, sondern weil der Harz in der Nacht zum ersten Mai proppenvoll ist und Spätbucher eben keinen Platz mehr am Brocken finden. Die größte Veranstaltung der Harzer Walpurgisnacht gibt es in Schierke – knapp vor dem Brocken.

Auf dem höchsten Harzberg selbst kommt man in der Walpurgisnacht nur schwer: Die Brockenbahn macht nämlich zum Event des Jahres keine Ausnahme und fährt letztmalig um 18.16 Uhr ins Tal. Das mag eine Nachwirkung des Brockenbahnverbots von 1901 sein. Damals entschied der Fürst von Stolberg-Werningerode, den Bahnbetrieb kurz vor und nach dem 1. Mai zu sperren – aus Angst vor Satanistentourismus in seiner Region.

Für das Betreten der Hahnenkleer Hauptstraße zahlt man mittlerweile fünf Euro Eintritt. Dafür gibt es dann immerhin drei Live-Acts, wie sich die lokalen Plakate rühmen, und jede Menge Speis und Trank.

Am meisten ist vor der Glühweinbude los. Es ist ein muntrer Klub beisammen. Im Kleinen ist man nicht allein.

Sie ist nicht die einzige ihrer Art, sticht aber durch eine Playlist hervor, die sich vermutlich noch nicht mal das Frieda B am Hamburger Hans-Albers-Platz, das Stubu am Dienstagmorgen um vier oder das Hannoveraner Brauhhaus zutrauen würden.

Völlig gegen den Rhythmus schütteln sich Harzer Mittvierziger zu einer ganz schrecklichen Disko-Polka-Version von La Bamba und wieder, wieder, wieder „Ja wir haben ein Idol – Harald Junke“. Dass man das überhaupt noch spielen darf!

Nebenan wird auch gleich die erste Band auftreten, das verrät das „Wonntü, wonntü…“, das Einzählen. Es ist eine Dreimannkombo aus Sängerin, Keyboarder und Gitarrist, zusammengepfercht auf fünf Quadratmeter. Was ich zunächst für ein Hörgerät halte, entpuppt sich als In-Ear-Monitoring des Keyboarders. Gut, eigentlich braucht so was höchstens ein Keith Richards, der auch Brüllen jenseits der nötigen drei Millimeter Abstand zum Trommelfell nicht vernehmen könnte. Aber es wirkt natürlich superprofessionell, wenn die Bühne schon nicht hoch genug ist um das lokale VGH-Werbebanner vom Boden zu heben, sodass es sich am Kopfsteinpflaster zusammenfaltet.

Das Publikum ist teils verkleidet, und sieht teils nur so aus. Den befürchteten Satanismus findet man in Hahnenklee zwar nicht – aber wen immer ich frage, weshalb man eigentlich die Walpurgisnacht feiert, erklärt mir, das sei wegen der Hexenverbrennung.

„You see friends and women with sticks“, sagt ein japanischer Tourist hocherfreut, sich einen imaginären Besen vors Gemächt haltend. „Is tradition.“ „Das gab es früher überall in Deutschland“, fügt Gian-Franco, ein junger Gastronom, hinzu. „Aber das waren auch keine echten Hexen. Das waren nur Frauen, die nicht kochen wollten oder rote Haare hatten.“

Auch eine ältere Dame hinterm Spanferkeltresen versichert mir, dass Maibowle und Scheiterhaufen zum Gedenken an die Opfer der Hexenverfolgung sind. „Damit diese Zeit nicht vergessen wird.“ Es liegt mir auf der Zunge, sie zu fragen, wie man hier andere Gedenktage begeht. Aber ich bin hier nur Gast, da gilt es, sich sowas zu verkneifen. Du Geist des Widerspruchs! Nur zu!

So wunderlich wie der Ursprung dieses Feiertags, ist auch die Maibowle. Die Bardame des Waldmeisterstandes kommt einem der ehemals verbrannten Kräuterweibchen recht nahe: Zumindest über Waldmeister weiß sie alles. „Das hilft gegen jede Krankheit!“ erklärt sie völlig aus dem Häuschen. „Kopfschmerzen, Ekzeme, Verdauungsbeschwerden, die kriegt man alle mit welkem Waldmeister in den Griff.“ „Mit welkem?“ Auf ihrem Tresen stehen junge Pflanzen, grün und überhaupt nicht welk. „Ja, also die hier sind ja nur Deko, aber für die Bowle muss Waldmeister verwelkt sein, sonst schmeckt der nach nichts.“ Iiieh! Dass Waldmeisterbowle eher Kopfschmerzen verursacht, als lindert, liegt ihrer Meinung nach am Wein.

Um mich nicht mit toten Pflanzen zu vergiften, bestelle ich in der „Brutzelbude“, einer griechischen Kneipe, trockenen Rotwein. „Biste ooch nich von hier?“, werde ich als ortsfremd entlarvt. Der findige Fuchs heißt Sven und zog vor vier Jahren von Brandenburg her. Auf der Suche nach einem Job. Jetzt ist er der dumme August von Hahnenklee, immer unterhaltsam, immer traurig, immer betrunken. „Ick weeß et doch ooch nich“, wehrt er meine Frage nach dem Grund für die Feier ab. „Dit is hier eben so, dit wusst ick aber ooch vorher, dass die sich hier für Waldurg-, Wlapu-, na fürn erstn Mai halt nich mehr einkriejn.“

Wusste er das also schon, ist der Brauch doch so bekannt. Vermutlich ist am Ende Goethe selbst schuld, dass der Harz sich so an seine Walpurgisnacht klammert. Die dazugehörige Szene schrieb er zumindest nicht hier sondern in der Metropole Leipzig – und baute wissend ein: Es ist doch lange hergebracht, dass in der großen Welt man kleine Welten macht.